Der Forschungsgegenstand Klima wird von Wissenschaftlern zu einem politischen Handlungsfeld vorgeformt, das ergaben bereits Analysen in den Neunzigerjahren. Handlungsoptionen und Bezüge zum gesellschaftlichen Kontext werden in Studien eingebaut.
Wissenschaftliches Wissen, mit dem die Forschung das Interesse der Öffentlichkeit gewinnt, hat erhebliches Mobilisierungspotential. Klimawandel-Studien können über die Legitimität politischer Macht mitentscheiden. Folge ist die Politisierung der Wissenschaft.
Medien
Ein Aufsatz prominenter Klimaforscher, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „BioScience“, liefert ein aktuelles Beispiel. Die Menschheit stehe am Rande einer Klimakatastrophe, ein Großteil des Lebens auf der Erde sei gefährdet, schreiben die Wissenschaftler, unter ihnen der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, und sein Mitarbeiter Stefan Rahmstorf.
Sie ernten das erwartbar große Medienecho.
„Ein dramatischer Bericht deckt auf, wie die Erde unter der Klimakrise ächzt“, titelt der „Focus“, und der “Spiegel” meint: "Die Welt schlafwandelt in die Katastrophe". „Report vor der UN-Klimakonferenz zeigt drastische Daten“, überschreibt die Deutsche Presseagentur ihren Artikel, den zahlreiche Medien übernahmen.
Politikziel
Die Autoren der Studie nennen ihr politisches Ziel: die Überwindung des Wirtschaftswachstums.
Die Forscher fordern „die Einführung eines ökologischen und postwachstumsorientierten Wirtschaftsrahmens, der soziale Gerechtigkeit gewährleistet“.
Die Forderung nach der Überwindung von Wirtschaftswachstum („Degrowth“) ist in der Klimaforschung beliebt: Eine Umfrage, veröffentlicht 2023 im Fachjournal „Nature Sustainability“, zeigt unter Klimawissenschaftlern aus wohlhabenden Ländern große Unterstützung für das zweifelhafte Konzept.
Rhetorik
Angaben zur Klimaentwicklung, gehalten in dramatischer Rhetorik, sollen das politische Ziel legitimieren: „Wir stehen am Rande einer irreversiblen Klimakatastrophe, dies ist zweifellos ein globaler Notfall“, heißt es in der aktuellen Studie.
„Ein Großteil des Lebens auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.“
Während der UN-Klimabericht zwar erhebliche Wetterrisiken aufziehen sieht im Zuge der globalen Erwärmung, sich aber schwertut bei Wetterphänomenen abseits von Hitze und Niederschlag bereits menschengemachten Einfluss festzustellen und globale Katastrophendaten bislang im Allgemeinen nicht auf eine Verschlimmerung hindeuten, schreiben die Autoren des neuen Aufsatzes:
„Wir erleben die düstere Realität der Prognosen, während die Auswirkungen des Klimawandels eskalieren und Bilder beispielloser Katastrophen auf der ganzen Welt sowie menschliches und nichtmenschliches Leid hervorrufen. Wir befinden uns inmitten eines abrupten Klimaumbruchs.“
Legitimierung
Die Forscher listen Wetterkatastrophen der vergangenen Monate, die sie „Klimakatastrophen“ nennen, ergänzt um dramatische Fotos von Feuern, Fluten und Dürren.
Tatsächlich haben globale Durchschnittstemperaturen in Luft und Ozean in den vergangenen Jahren erstaunliche Sprünge gemacht, die Klimaforscher über eine Beschleunigung der Erwärmung spekulieren ließen.
„Der Klimawandel könnte letztlich zum Zusammenbruch der Gesellschaft beitragen – eine Möglichkeit, die Forscher zunehmend in Betracht ziehen“, behauptet die Forschergruppe.
Als „Beleg“ dient ihnen eine Zunahme an Aufsätzen zu dem Thema. Der Klimawandel habe bereits Millionen von Menschen vertrieben, heißt es in dem Aufsatz. Der aktuelle UN-Klimareport hingegen bilanziert, dass sich eine Zunahme klimawandelbedingter Fluchtbewegungen nicht zeigen lasse.
Um ihre Warnungen zu untermauern, bieten die Autoren des neuen Aufsatzes 35 Grafiken, die sie „Lebenszeichen des Planeten“ nennen; 25 lägen „auf Rekordniveau“. Ursache sei „das globale Versagen bei der Unterstützung eines schnellen und sozial gerechten Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe“.
Widersprüche
Die präsentierten Schlussfolgerungen und Indikatoren werfen Fragen auf, hier einige Beispiele:
Eine Grafik soll eine Zunahme von Baumverlusten zeigen – aber warum bleibt unerwähnt, dass die Gesamtmenge an Bäumen auf der Welt Studien zufolge zugenommen hat und die Welt seit Langem grüner wird?
Eine Grafik behauptet zunehmenden Baumverlust durch Waldbrände – lässt aber aus, dass die weltweiten Emissionen durch Wald- und Buschbrände in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf einen Abwärtstrend hindeuten.
Eine Zunahme an „Milliarden-Dollar-Fluten“ in den USA wird behauptet – obwohl sich die Zunahme von Schadenssummen zu Milliardenbeträgen nicht mit dem Klimawandel, sondern mit Inflation und der Zunahme herumstehender Sachwerte erklären lässt.
Und warum behauptet die Studie eine Zunahme von Hitzetoten in den USA, obwohl Erhebungen das Gegenteil dokumentieren?
Forderungen
Der wissenschaftliche Teil ist dünn, flugs geht der Aufsatz ins Politische über: Nötig sei eine „schrittweise Reduzierung der Weltbevölkerung durch die Stärkung von Bildung und Rechten für Mädchen und Frauen“.
„Wir brauchen mutige, transformative Veränderungen: eine drastische Reduzierung von Überkonsum und Verschwendung“, schreiben die Klimaforscher. “In einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist unbegrenztes Wachstum eine gefährliche Illusion“.
Forderungen nach Überwindung von Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsrückgang wurzeln im linken Milieu wohlhabender Staaten. Der Neo-Malthusianismus sieht eine „Überzahl“ an Menschen als Problem – obwohl trotz stark gestiegener Weltbevölkerung wegen des Wirtschaftswachstums die Armut zurückging und sich Lebenserwartung und Ernährung massiv verbessert haben.
Demografen haben dokumentiert, dass im Gegenteil der bevorstehende Rückgang der Bevölkerung zum gravierenden Problem wird.
Hintergrund
Malthusianische Energiepolitik sorgt für Verknappung: Deutsche Politiker preisen den Gebrauch von Waschlappen, während sie klimaschonende Kernkraftwerke abschalten, die Millionenstädte mit Strom versorgen könnten.
Aus Klimaschutzgründen sollen armen Ländern auf Erdgas-Förderung verzichten – ganz im Sinne ihres links-elitären Vordenkers Paul R. Ehrlich, der Anfang der Siebziger vor einer „Bevölkerungsbombe“ gewarnt hatte: „Die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt mit billiger Energie im Überfluss zu versorgen, wäre tatsächlich so, als würde man einem idiotischen Kind ein Maschinengewehr geben.“
Auch die Autoren des neuen Aufsatzes lassen sich in der malthusianischen Bewegung verorten, die etwa mit dem „ökologischen Fußabdruck“ Umweltprobleme auf den einzelnen Bürger zurückführt, ergänzt um die Forderung nach Beschränkung der Lebensführung.
Klientelismus
Die politisch-mediale Instrumentalisierung von Expertise beschreibt der Historiker Caspar Hirschi als „Klientelismus“-Dilemma“. Das an der neuen Studie beteiligte Potsdam-Institut (PIK) hat beispielsweise im Auftrag der Weltbank dramatische Klimaberichte gefertigt, die wie andere Institutionen das Klimathema nutzt, um ihren Einfluss zu vergrößern.
PIK-Direktor Rockström ist Vorsitzender der „Earth Commission“, die „Planetare Grenzen“ abstecken soll, die den Vereinten Nationen als Politikfeld dienen. Publikationen der Vereinten Nationen, bei denen Rockström als Redner auftritt, beziehen sich auf das Konzept.
Andere Autoren der neuen Studie werden von der politisch intransparenten Bezos-Stiftung unterstützt, um extreme Klimaszenarien wie sogenannte Kipppunkte zu modellieren.
Am Ende ihres Aufsatzes werden die Wissenschaftler konkret: Sie bitten die Leser, ein „Klimanotstandspapier“ zu unterschreiben. Axel Bojanowski
P.S. Ich freue mich über eine freundliche Rezension meines neuen Buches „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ im Magazin “National Geographic”: