Ein Kollege hatte kürzlich in einem Artikel Stellung bezogen in Sachen Klimawandel: Er wolle bei dem Thema nicht mehr neutral sein. Ich hatte mich gefragt, welchen Standpunkt er damit meinte.
Auf der "KIT Science Week" des Karlsruhe Instituts für Technologie haben wir gerade über Journalismus zum Klimawandel diskutiert.
In meinem Kurzvortrag (“Wir sind Klima”) habe ich anhand zweier Anekdoten beschrieben, warum es schwer fällt, in der Klimadebatte Position zu beziehen.
Es folgt mein Vortrag in Schlaglichtern:
Der Journalismus in Deutschland begreift sich im Wesentlichen als “grüner Journalismus”, wie es selbst Branchenmagazine ausweisen und explizit manche Redaktionen wie “stern”, die sich mit “Fridays for Future” gemeingemacht haben:
Grüner Journalismus betont eine Tatsache: das Menschheitsproblem Klimawandel.
Eigentlich aber handelt sich um ein: Menschheitsdilemma.
Die Vereinten Nationen haben 17 gleichwertige Menschheitsziele bestimmt, die teils im Zielkonflikt mit der Lösung des Menschheitsproblems stehen, der globalen Energiewende:
8 Milliarden Menschen (bald 10 Milliarden) benötigen kostengünstige Energie.
3 Milliarden Menschen verbrauchen pro Jahr weniger Strom als ein normaler Kühlschrank.
Ein Drittel der Menschheit nutzt gesundheitsschädlich Holz/Mist/Kohle zum Heizen/Kochen.
Fossile Brennstoffe sind leicht verfügbar, sie liefern trotz des Wachstums an CO2-armen Energiequellen kontinuierlich mehr als 80 % der weltweiten Energie.
Bislang gibt es trotz aller Energiewende-Bemühungen eher “Energy Addition” als eine “Energy Transformation”.
Das Klimaproblem erfordert die Umstellung der Weltwirtschaft und Umstellungen in allen Lebensbereichen. Es geht also um die Frage, wie wir leben wollen.
Kein Wunder also, dass es im Klimastreit häufig nur am Rande um Wissenschaft geht.
Die Debatte verhandelt auch versteckte Werte und Interessen. Einige Beispiele:
Bühne für Wertekonflikte: Frontstellungen der gleichen Gruppen wie in anderen gesellschaftlichen Debatten
Umwelt/Klima als Hebel für internationale Einflusskämpfe
Durchsetzung politischer Maßnahmen bis hin zu Vertreibungen und “Bevölkerungskontrolle”
„Bewahrung der Schöpfung“ als stärkstes politisches Argument
Klimawandel als Ausrede für Versagen im Katastrophenschutz
Finanzierung durch „Philanthropen“-Stiftungen: Intransparente politische Netzwerke, die sich mit dem Klima-Trumpf kritischer Befragung entziehen
Distinktion / Statuskampf: Umwelt und Klima dienen der sozialen Abgrenzung und der Schwächung gesellschaftlicher Konkurrenten
Meine erste Geschichte:
Klimaforscher stellen mit der Warnung vor “Planetaren Grenzen” politische Anschlussfähigkeit her. Die Theorie von Knappheit verleiht Macht, den angeblichen Mangel zu verwalten.
Internationalen Organisationen kommt die Theorie gelegen, sie spannen die “Planetaren Grenzen” und deren Autoren für sich ein. Hauptautor Johan Rockström ist fester Redner bei der UNEP.
Er trat dieses Jahr auch beim World Economic Forum auf:
Auch als das EU-Parlament Mitte Mai eine Konferenz zu „Beyond Growth“ veranstaltete, dienten die „Planetaren Grenzen“ als Referenz.
Rockström ist zudem Vorsitzender bei der “Earth Commission”, einer Lobby-Organisation, die politische Leitlinien überstaatlicher Institutionen legitimieren soll:
Rockströms Co-Autor der „Planetaren Grenzen“, der im Januar verstorbene Chemiker Will Steffen, hatte 2011 ein Ziel vorgegeben:
„Letztlich muss es eine oder mehrere Institutionen geben, die mit Autorität über die Ebene der einzelnen Länder hinaus agieren, um sicherzustellen, dass die Grenzen des Planeten respektiert werden“. Eine solche Institution wäre der „ultimative Schiedsrichter“.
Rockström sagte dieses Jahr anlässlich seiner neuen Studie:
Mit den „Planetaren Grenzen“ hätten sie den „sicheren Handlungsraum für die Menschheit auf der Erde nun wissenschaftlich quantifiziert“. „Dies gibt uns einen Leitfaden in die Hand für notwendige Maßnahmen“.
Der Wissenschaftsphilosoph Steve Rayner hat das Konzept kritisiert:
„Die Festlegung planetarer Grenzen … verschleiert die inhärente Normativität der Entscheidung, wie auf Umweltveränderungen reagiert werden soll.“ Entscheidungen seien eine Frage politischer Auseinandersetzung, nicht wissenschaftlicher Tatsachen.
Die „Planetaren Grenzen“ seien eine wirksame Strategie, um politische Debatten zu beenden und sie ebneten einem „globalen Schiedsrichter“ den Weg, der im Namen von Menschheit und Natur entscheiden dürfte.
Wissenschaftler äußern fundamentale Kritik am Konzept der „Planetaren Grenzen“, zum Beispiel:
•Simon Lewis, University College London: „Politisch verführerisch“, „könnte Probleme bereiten“.
•Jose Montoya, Centre National de la Recherche Scientifique: „Unglaubwürdige Wissenschaft“, die „schädliche Politik“ bewirke.
•Strunz et al.: Mit der Theorie würden „Umweltprobleme falsch interpretiert“.
•Biermann&Kim: Es handele sich um ein „elitäres Konzept von Bewohnern des Globalen Nordens“.
•Hillebrand et al. in ihrer Großstudie, aufbauend auf 36 Metaanalysen von mehr als 4.600 Einzelstudien über ökologische Schwellenwerte: Es wären in der Natur Schwellenwertüberschreitungen selten nachweisbar, vielmehr zeichnet sich die Natur unter Druck durch Variabilität und Widerstandsfähigkeit aus.
•DeFries et al. mit ihrer Gegenthese „Planetaren Chancen“: Es gebe keine festen globale Grenzen für die Nutzung von Ressourcen.
•Katrin Böhning-Gaese, Direktorin der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung: „Man darf sich nicht vormachen, dass die planetaren Grenzen wissenschaftlich genau bestimmbar wären“. „Im Wesentlichen” diene die Theorie als “ein ausdrucksvolles Kommunikationsinstrument“.
•Henrique Pereira vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung: „Mein Hauptkritikpunkt an dem Konzept ist, dass diese Grenzen nicht wirklich von der Wissenschaft definiert werden“. Es handele sich um subjektive Bewertungen einzelner Forscher.
Meine Frage: Was wäre bei dem Thema also die „richtige Seite“, auf der „nicht mehr neutrale Journalisten” stehen sollten?
Meine zweite Geschichte:
Kürzlich verschickte die UN-Umweltorganisation UNEP eine Pressemitteilung, die weltweit große Resonanz erfuhr: Die Zahl der Buschbrände werde bis Ende des Jahrhunderts um 50 Prozent zunehmen.
Für die Studie hatte UNEP eine NGO beauftragt: GRIDA, die Auftragsstudien für Regierungen, Behörden und die UN ausführt.
Hunderte Medien berichteten über die Studie:
Unerwähnt blieb meist, dass Waldbrände bislang abnehmenden Trend zeigen, schon seit langem:
Der UN-Klimarat erkennt bislang kein Klimasignal bei Waldbränden.
Es gibt sogar Studien, welche die Fortsetzung des Abwärtstrends in Aussicht stellen, weil Klima auch bei Feuern ein untergeordneter Faktor ist.
UNEP und GRIDA aber fokussieren auf die reine Modellierung des Klimawandels, der vielerorts Waldbrandwetter, also das Risiko für Waldbrände aufgrund verstärkter Dürre begünstigen könnte. Alle anderen Faktoren blieben außen vor.
Die abwegige Annahme der UNEP lautet, im Widerspruch zur Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte: Menschen würden nicht weiter versuchen, das Feuer-Risiko zu mindern, etwa mit Waldbrandvorbeugung/Waldmanagement.
Der UNEP kommt das Ergebnis ihrer Studie entgegen, stützt es doch ihren Gründungszweck gemäß “Shirky Principle”: "Institutions will try to preserve the problem to which they are the solution".
Ziel der UNEP ist globale Energiewende:
Die UNEP hatte mit der Waldbrand-Studie ihr Ziel erreicht: weltweite Berichterstattung betonte die Dringlichkeit von Klimaschutz.
Mediennutzer aber bekamen den falschen Eindruck, schlimmere Waldbrände kämen zwangsläufig im Zuge fortschreitender Erwärmung. Ergebnisse könnten zum Beispiel sein: Hilflosigkeitsgefühle, irreführende Vorstellungen vom Klimawandel, falsche Gegenmaßnahmen.
Meine Frage auch hier: Was wäre bei diesem Thema die „richtige Seite“, auf der „nicht mehr neutrale Journalisten” stehen sollten?
Resümee: Die menschengemachte globale Erwärmung ist real und bringt Risiken. Aber das ist der Anfang einer Diskussion und nicht ihr Ende. Axel Bojanowski