Von der Überwindung des Trotz-Positivismus
Historischer Triumph eines Klimaforschers über die Skeptiker-Lobby
Ich möchte von einem Ereignis erzählen, das meine Sicht auf Wissenschaft geprägt hat.
Für Wissenschaftler ist es schwer, in der öffentlichen Klimadebatte zu bestehen, deshalb halten sich die allermeisten von ihnen heraus. Entweder sie werden politisch vereinnahmt oder politisch bekämpft. Wer versucht, schlicht den Stand des Wissens zu vermitteln, muss dennoch damit rechnen, politisch eingeordnet zu werden.
In den Neunzigerjahren nahm der Druck zu. Die lauter werdenden Warnungen vor Treibhausgasen verstanden auch Energiekonzerne als Alarmsignal – allerdings für ihr Geschäftsmodell.
Sie wollten verhindern, dass Erdöl, Kohle und Gas in Verruf geraten könnten und inszenierten in den 1990er-Jahren eine Kampagne gegen die Klimaforschung, die vor allem in den USA die Politik beeinflusste.
Schauprozesse
Die damals mit der Erdölindustrie verbandelte konservative Partei der Republikaner veranstaltete regelrechte Schauprozesse: Sie lud Klimaforscher zu Anhörungen, um sie dort mit Skeptikern zu konfrontieren, von denen manche von der Industrie bezahlt wurden.
Dana Rohrabacher von der Republikanischen Partei leitete zahlreiche Anhörungen zum Klimawandel. Für ihn schien das Ergebnis der Verhandlungen stets vorher festzustehen: Der menschengemachte Klimawandel sei eine Erfindung.
Geladene Skeptiker dienten Rohrabacher als Stichwortgeber, die Einlassungen der Klimaforscher fanden selten Berücksichtigung.
Quelle der Verbitterung
Am Ende votierte Rohrabacher als Leiter seiner Anhörung für nicht haltbare Aussagen der Klimaskeptiker. Diese Erfahrung trug zur Verbitterung vieler Forscher in der Klimadebatte bei.
Die unfaire Behandlung veränderte die Klimaforschung: Unter dem Druck der Anhörungen ließen sich Wissenschaftler hinreißen, über den Stand der Wissenschaft hinaus auf Robustheit ihrer Ergebnisse zu pochen, um Rohrabacher Kontra zu geben. So machte sich die Klimaforschung angreifbar.
Doch nicht alle ließen sich hinreißen.
Es war der 16. November 1995, als Rohrabacher zum Schlag gegen das größte staatliche Klimaforschungsprogramm ausholte: gegen das „Global Change Research Program“ mit einem Etat von 1,2 Milliarden Dollar. „Viele von uns halten diesen Eifer für ökologischen Fanatismus“, rief Rohrabacher.
Die Antwort des geladenen Wissenschaftlers Jerry Mahlman gehört zu den Sternstunden der Klimaforschung.
Der Schlagabtausch
Mahlman ignorierte die Provokationen Rohrabachers und ließ sich nicht zu Trotz-Positivismus hinreißen, der später zur Selbstverständlichkeit werden sollte, wenn Forscher glaubten, Skepsis mit vermeintlicher Eindeutigkeit kontern zu müssen.
Anstatt die Ergebnisse der Klimaforschung anzupreisen, sagte Mahlman, dass die - damals noch weitaus unsicheren - Einschätzungen des Welt-Klimarats die am wenigsten umstrittenen Aussagen zum Klimawandel seien.
“The observed warming over the last century is not unambiguously attributable to the greenhouse effect. Okay? There are alternative explanations. My opinion is that there are virtually no credible counterhypotheses. So I cannot say with absolute certainty that the observed record is a reflection of greenhouse warming at this time.”
Rohrabacher sah sich anscheinend dem Sieg nahe, glaubte womöglich, er hätte die Theorie des menschengemachten Klimawandels widerlegt - er sagte: “Repeat that last statement.”
Mahlman wiederholte seine brillante Aussage: “I cannot say, with absolute certainty, that the observed temperature change over the last century is ascribable to human-caused greenhouse warming. I cannot say that. I just say that there is no plausible hypothesis that is nearly as credible.”
Rohrabacher merkte anscheinend, dass sich daraus doch kein Sieg für ihn ableiten ließ: “So you are saying that it is most likely that___”
Mahlman antwortete: “Yes, indeed.”
Warnung: Werturteile
Mahlman betonte die Unsicherheiten der Ergebnisse und ergänzte, dass keine der Unsicherheiten die Sorge über die globale Erwärmung zerstreuen könnte.
“None of the uncertainties I will discuss can make current concerns about greenhouse warming go away. This problem is very real and will be with us for a very long time.”
Schließlich riet er, Wissenschaft und Politik zu trennen. Politische Maßnahmen setzten Werturteile voraus, die außerhalb der Klimaforschung lägen.
“Because I speak with credentials as a physical scientist, I do not offer personal opinions on what society should do about these predicted climate changes. Societal actions in response to greenhouse warming involve value judgements that are beyond the realm of climate science.”
Selbst im Falle absoluter Sicherheit der Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel würden Klimaforscher Politikern kaum weiterhelfen können, sagte Mahlman. Politische Maßnahmen seien keine naturwissenschaftliche Frage.
“Respecting the degree of difficulty, and I have made the statement that if, for example, that we were to become infinitely wise, and Patrick Michaels and I could agree on all the points and we know how the climate system works and how it is going to change, we could lay that information out on the table for you, and you would still have a miserable problem as to how to deal with it as a society and as a planet.”
Legende Jerry Mahlman
Jerry Mahlman ergänzte, er würde zur Skepsis raten, wann immer Klimaprognosen in Verbindung mit politischen Äußerungen präsentiert würden.
“Indeed, I would encourage your skepticism whenever you hear a climate scientist's prediction being accompanied by a policy opinion.”
Mahlmans Stellungnahme erhob die Wissenschaft über den politischen Grabenkampf. Der Forscher hatte es geschafft, nüchtern auf die Strahlkraft wissenschaftlicher Erkenntnis zu setzen, die ohne politischen Überbau bestehen und für sich glänzen kann.
Jerry Mahlmans (1940 bis 2012) war ein bewundernswerter Professor, unter anderem als Direktor am renommierten Geophysical Fluid Dynamics Laboratory in Princeton. Seit ich Ende der Neunzigerjahre das Protokoll seines Auftritts in der Anhörung 1995 las, ist er für mich ein Held. Axel Bojanowski