Die Partei “Die Partei” wollte die Geschicke Deutschlands in die Hände von Klimaforschern legen. Für die vergangene Bundestagswahl sollten über die Liste der Partei vorzugsweise Klimatologen gewählt werden, um in den Bundestag einzuziehen.
Auch “Fridays for Future” fordert “Unite behind the Science”. Wie anscheinend “Die Partei” glauben viele Aktivisten, aus Wissenschaft folge direkt eine bestimmte Politik, Fakten aus der Forschung lieferten Handlungsanweisungen gleich mit.
Klimaforscher indes erheben in der Regel keinen Anspruch, Politik bestimmen zu wollen. Nobelpreisträger Klaus Hasselmann sagte mir neulich: “Eigentlich ist es doch ein Grundverständnis von Wissenschaftlern, dass sie nicht politisch Einfluss nehmen wollen.”
Hasselmann erhielt den Physik-Nobelpreis für seine Beweisführung, die zeigte, dass menschengemachte Abgase das Klima erwärmen. Er warnt seit den Neunzigerjahren vor Risiken, die mit der Erwärmung einhergehen. Wie die Menschheit aber auf die Bedrohung reagiert, will der Forscher nicht vorschreiben - die erheblichen Zielkonflikte bei der Umstellung der Energieversorgung aufzulösen, sieht er als Sache der Gesellschaft.
Die Debatte um den Einfluss von Klimaforschern lässt sich anhand dreier Kommentare einflussreicher Wissenschaftler abstecken:
Anders Levermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ein Medienstar seiner Zunft, sieht ein deutliches politisches Gebot, um mittels Klimapolitik Gerechtigkeit zu schaffen:
Hans von Storch, emeritierter Direktor des Klimaforschungszentrums in Geesthacht (Hereon), hingegen warnt vor Kompetenzüberschreitung:
Und was sagen Wissenschaftssoziologen zur Frage, wie Experten politisch Einfluss nehmen sollten? Alexander Bogner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erläutert im Interview mit dem “Standard”:
Bogner: Die Wissenschaft kann vieles, aber sie kann letztlich der Politik nicht die Entscheidung abnehmen. Eine Politik, die sich der Macht des Wissens oder der Herrschaft der Algorithmen unterwirft, macht sich überflüssig. Oder anders gesagt: Im Zuge einer Politik, die sich über Wissen und Wahrheit legitimiert, würde die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nur als Ballast erscheinen. Das wäre das Ende einer Demokratie, wie wir sie kennen.
Standard: Eine der Hauptthesen Ihres neuen Buchs ist, dass viele politische Streitfragen gerade auch im Zusammenhang mit der Pandemie oder auch der Klimakrise zu wissenschaftlichen Streitfragen werden. Wie wirkt sich das aus?
Bogner: In vielen politischen Streitfragen ist wissenschaftliche Expertise Trumpf – zum Beispiel, wenn es um den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft geht, um die Risiken der Gentechnik, um Grenzwerte der Feinstaubbelastung oder um die Gefahren elektromagnetischer Felder. Der Streit konzentriert sich dann primär auf Wissensfragen: Wie hoch ist das Risiko? Welche Gefahren bestehen für Mensch und Umwelt? Wo liegen die "Kipppunkte" des Systems? In diesen Wissenskonflikten droht die Vernachlässigung von grundsätzlichen Wertfragen. Doch diese Wertfragen – zum Beispiel: Welche Zukunft wollen wir? Welche Einschränkungen sind akzeptabel? Was ist uns die Freiheit wert? – sind ja letztlich der Motor der Konflikte und dürfen daher nicht vernachlässigt werden.
Wie aber sollen Wissenschaftler Bürger informieren? Wie erfahren wir, die Friseure, Taxifahrer oder Journalisten auf Grundlage welcher Fakten wir entscheiden können?
Es hängt davon ab, welche Informationen Experten vermitteln. Der Wissenschaftsforscher Roger Pielke Jr. (“The Honest Broker”, 2007) unterscheidet vier Varianten:
Der “Pure Scientist” stellt schlicht alle Informationen zur Sache zur Verfügung, ohne Einordnung.
Der “Honest Broker” stellt alle Informationen zur Verfügung, die für eine Entscheidung relevant sein könnten, ohne zu favorisieren.
Der “Science Arbiter” liefert alle Informationen, welche auf Fragen der Entscheider eingehen, ohne zu favorisieren.
Der “Issue Advocate” wählt Informationen aus, um seine favorisierte Entscheidung zu befördern.
Zudem gibt es nach Pielke (2007) noch eine Art der wissenschaftlichen Beratung, die sich als “Pure Scientist” oder “Science Arbiter” tarnt, in Wirklichkeit aber verdeckte Ziele verfolgt: “Stealth Issue Advocacy”.
Solche Experten behaupten im Namen eines wissenschaftlichen Konsens zu sprechen, womit sie ein bestimmtes politisches Ziel befördern wollen. Im Unterschied zum “Issue Advocate” suggerieren “Stealth Issue Advocates” jedoch persönlich kein Ziel zu verfolgen, sie verweisen stattdessen auf “die Wissenschaft”.
Das Resümee von Roger Pielke Jr.: “Experten müssen ihren Frieden machen mit der Demokratie”. Axel Bojanowski