Machtlos in die Rotglut
Wie politische Botschaften trotz wissenschaftlicher Probleme in den UN-Klimabericht gelangen
Die umkämpfte Geschichte einer der berühmtesten Klima-Grafiken bietet Einblick, wie innerhalb der Wissenschaft um politische Schlagkraft gerungen wird.
Die Burning-Embers-Grafik (siehe oben) soll steigendes Risiko unterschiedlicher Phänomene bei zunehmender Erwärmung symbolisieren. Ihr wissenschaftliches Fundament ist zweifelhaft, ihr politischer Effekt hoch.
Die aufrechtstehenden Rechteckte färben sich nach oben erst gelb, dann immer roter, je größer das Risiko einer Klimagefahr eingestuft wird. Ihren ersten Auftritt hatte die Grafik im dritten Bericht des UN-Klimarats IPCC 2001.
Verschämter Anfang
„Es war ein gewaltiger Schritt für den IPCC, der stets peinlich darauf bedacht ist, keine Wertaussagen zu machen“, schreibt Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung PIK, einer der Erfinder der Burning Embers.
Allerdings sei die Grafik im IPCC-Report 2001 nur „verschämt“ präsentiert worden, bemängelte Schellnhuber, der die Klimawandel-Kommunikation geprägt hat wie kein anderer Wissenschaftler.
Die Burning Embers sollten betonen, dass „man jenseits der 2-Grad-Linie einigen Ärger bekommen würde“, erläutert Schellnhuber.
Manche seiner Kollegen hatten allerdings eher Sorge um Ärger wegen der Burning Embers selbst, die Kritik hervorriefen, weil sie den wissenschaftlichen Sachstand auf gewagte Weise ausdrücken.
Einige Wissenschaftler hätten an der wissenschaftlichen Gültigkeit des Glutdiagramms gezweifelt, berichtete der ehemalige Vorsitzende des UN-Klimarats IPCC, Rajendra Pachauri.
Eskalation
Bei den Verhandlungen zum vierten Klimareport im April 2007 in Brüssel drohten unter anderem die Delegierten der USA, den Bericht zu blockieren, sofern die Burning Embers nicht herausgenommen würden, erzählte der Klimaforscher Stephen Schneider, der an den Verhandlungen beteiligt war.
Während Europa, Kanada, Neuseeland und die Inselstaaten sich für die Grafiken eingesetzt hätten, opponierten die USA, Russland, China und Saudi-Arabien. Den Kritikern wären die Burning Embers „zu sehr ein Urteil gewesen“, berichtete Schneider. Der IPCC aber ist zur Deskription gehalten.
Stephen Schneider hat erzählt, wie er für die Burning Embers kämpfte: Bereits seinerzeit (2007) bei einer Erwärmung von 0,8 Grad, wären Auswirkungen zu erkennen auf Tiere und Pflanzen, sagte er. „Stellen Sie sich nur das Durcheinander im Ökosystem vor, das wir bei mindestes zwei Grad bekommen, oder gar bei sechs Grad!“
Es wäre unverantwortlich, die potentielle Anfälligkeit der Natur nicht zu kennzeichnen. Er verwies auf Artikel 2 der UN-Klimarahmenkonvention, die vorsah, dass es Ökosystemen erlaubt sein soll, sich „auf natürliche Weise anzupassen“.
Die Drohung
Schneider und seine Mitstreiter griffen zu ihrer schärfsten Waffe: dem Notizbuch mit den E-Mailadressen und Telefonnummern von Journalisten. „Ich würde den Medien ja gerne sagen, dass das Team der USA hier hilfreich war“, sagte Schneider einem Delegierten seines Landes am Rande der Verhandlungen zum vierten IPCC-Report. „Bitte zwingt mich nicht, eine politische Geschichte draus zu machen.“
Eine der Grundregeln der Klimadebatte besagt, dass Journalisten stets bereit sind, Behauptungen aufzugreifen, welche die Geschichte vom Kampf besorgter Wissenschaftler gegen skeptische Erdölstaaten erzählen, selbst wenn letztere wie im Fall der Burning Embers gute wissenschaftliche Argumente haben.
Die Burning Embers blieben dennoch draußen aus dem vierten IPCC-Bericht 2007, was Schellnhuber „einigermaßen idiotisch“ fand und in die Aussage münden ließ: „Forscher sind nun mal in aller Regel eine Fehlbesetzung für die Heldenrolle“.
“Urteile beim Bier”
Die Kritik an den Burning Embers ist allerdings nicht abwegig: Den Grafiken liegen keine präzisen Berechnungen zugrunde, sondern „Expert Judgements“, also Umfragen unter ausgewählten Klimaforschern.
“Expert Judgements“ gehören seit dem dritten UN-Klimabericht zum zentralen Werkzeug des UN-Klimarats IPCC. Weil sich Klimawandel-Gefahren nicht genau berechnen ließen, hatte sich der IPCC für die Expertenurteile entschieden.
Stephen Schneider hat die „Expert Judgements“ verteidigt: Nachdem ein Kollege bei einer IPCC-Beratung 1998 gefrotzelt hätte, „Expert Judgements“ wären doch nichts anderes als „Bauchgefühlsurteile beim Bier“, habe Schneider ihn gefragt, ob er die Einschätzungen von Klimarisiken denn lieber Politikern überlassen wollte.
Die Urteilsfindung bei den „Expert Judgements“ bleibt jedoch im Dunkeln: „Die kognitiven und sozial-erkenntnistheoretischen Prozesse, die solche Urteile hervorbringen sind für den Außenstehenden weitgehend nicht wahrnehmbar“, resümiert Mike Hulme, der die Klimadebatte seit drei Jahrzehnten erforscht.
Das Vorgehen brachte dem Klimarat 2010 einen Rüffel ein: Die Umweltbehörde der Niederlande PBL, die im Auftrag des IPCC die wissenschaftliche Qualität des Klimareports geprüft hat, urteilte: Der IPCC müsste den subjektiven Charakter seiner Einschätzungen deutlicher machen. Zudem neigte der Klimarat dazu, negative Aspekte des Klimawandels in den Vordergrund zu stellen, befand die PBL.
Der Triumph
Schneider kämpfte dafür, dass die Burning Embers wenigstens im fünften IPCC-Report aufgenommen würden. Nur Ergebnisse, die Eingang in den UN-Klimareport finden, gelten als “wissenschaftlicher Konsens” beglaubigt.
2009 gelang es Schneider zusammen mit seinen Kollegen Bill Hare (vormals Greenpeace), Michael Oppenheimer (vormals beim Umweltverband Environmental Defense Fund) und Joel Smith, eine aktualisierte Version der Burning Embers in der angesehenen Wissenschaftszeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) zu veröffentlichen.
Mitglieder der National Academy of Sciences (NAS) wie Schneider dürfen bei PNAS zweimal im Jahr Studien einreichen, für die sie die Gutachter selber aussuchen dürfen.
Nachdem die „Burning Embers“ Mitte März 2009 in „PNAS“ und damit in der Fachliteratur publiziert worden waren, stand der Weg in den nächsten UN-Klimabericht offen.
Ihr Aufsatz hatte die erwartbare Wirkung, große Medien veröffentlichten die Burning Embers.
In seinem fünften Sachstandsreport von 2014 nahm der IPCC die „Burning Embers“ wieder auf. Die Grafik wäre „triumphal wiederaufgetaucht“, freute sich Schellnhuber.
Sie hätte „eine der zentralen Botschaften der Klimaforschung bestätigt“: „Eine Erderwärmung um drei, vier oder mehr Grad Celsius würde die Menschheit tief in ein schlecht kartiertes Hochrisikogebiet hineinführen“.
Auch im jüngsten IPCC-Report 2021 erschienen die Burning Embers an prominenter Stelle.
Kritik
Die Stärke der Grafik sei, dass sie einen Überblick über die zeitliche Entwicklung von Klimarisiken biete, sagt einer ihrer Autoren, Joel Smith. Andere Wissenschaftler sind skeptisch: Diana Livermann argumentiert, das Diagramm blende die komplexen geografischen Gegebenheiten des Klimawandels aus.
Die Grafik suggeriere irrigerweise, dass Risiken allein durch den anthropogenen Klimawandel getrieben würden, kritisierte Mike Hulme. Vor 1990 wären die „Gründe zur Sorge“ („reasons for concern“) den Burning Embers zufolge null, symbolisiert durch weiße Bereiche.
Dabei war etwa das Risiko, aufgrund von Wetterextremem zu Schaden zu kommen in den Jahrzehnten zuvor weitaus höher, weil Menschen schlechter geschützt waren.
Die Burning Embers würfen zudem die Frage auf, ob die „Ausübung des subjektiven Expertendenkens vereinbar sei mit den Anforderungen des schematischen Denkens“, schreibt Hulme.
Hulme nimmt die Grafik zugleich in Schutz: Sie stelle zwar gewisse wissenschaftliche Normen in Frage, stehe gleichwohl sinnbildlich für die Herausforderungen hartnäckiger Ungewissheit, die Risiken spätmoderner Gesellschaften charakterisierten.
“Expressionismus”
Die verschwimmenden Farben der Burning Embers veranschaulichten die „paradoxe gesellschaftliche Beziehung zum Risiko als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen“, schreibt Hulme.
Das Diagramm diene als heuristisches Werkzeug, seine Suggestion funktioniere: Unter einem sich ändernden Klima könnten Gefahren auftreten. Was genau dargestellt würde, bliebe unklar.
Die politische Botschaft indes ist deutlich: Quelle der Bedeutung des Diagramms wären die farblich kulturell verankerten “Assoziationen mit Gefahr, Angst, Gewalt und Leidenschaft”, erläutert Hulme.
Gleichsam wie ein expressionistisches Gemälde nährten die Burning Embers Zukunftsängste, „machtlos in die Rotglut“ zu laufen - ein Schicksal, das umso unvermeidlicher scheine im Vergleich der roten Zone mit der „farblosen Sicherheit der Grundlinie“.
Oder in den Worten Stephen Schneiders: „Natürlich sind Worte weniger mächtig als eine farbige Abbildung“. Axel Bojanowski
Nachtrag 1:
Der Ökonom Richard Tol, einer der renommiertesten Umweltwissenschaftler, erinnert sich an die Ursprünge der Burning-Embers-Grafik:
Nachtrag 2:
Die ARD-Sendung “Quarks” lässt die Burning Embers aufleben: