"Vampire, Kakerlaken und Faschisten"
10 aktuelle Affären, um den Streit um Klima und Energie zu verstehen
Ein politisch rechts stehender “Klimaleugner”-Verein (ich mag das Leugner-Wort nicht, aber man weiß nun mal, was gemeint ist) hat mich wegen meiner Klima-Berichterstattung beim Presserat angeklagt. Die völlig wirre Beschwerde wurde gerade abgewiesen (sie ist noch nicht online). Sie wirft ein interessantes Licht auf das Thema.
Von politisch links stehenden Krawallgruppen wie “Volksverpetzer” stehe ich seit Jahren unter Beschuss. Und mit dieser Position bin ich natürlich nicht allein, im Gegenteil: Wissenschaft steht naturgemäß quer zu allen politischen und kulturellen Lagern.
Nur in der öffentlichen Debatte erzeugen politische Lobbyisten gerne der Eindruck, sie würden “die Wissenschaft” vertreten. Klimaforschung wird vereinnahmt wie keine andere Disziplin. Die Folgen sind weitreichend - hier folgen 10 aktuelle Fälle:
1. Die Ungeziefer-Affäre
Zunächst in die USA. Als Donald Trump Ende 2023 auf einer Kundgebung versprach, seine politischen Feinde auszurotten, „die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und die linksradikalen Schläger, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben“, reagierte die „New York Times“ umgehend.
Sie beschrieb Trumps Sprache als „aufrührerisch und entmenschlichend“. Die „Washington Post“ pflichtete bei, Trumps Worte glichen einem „Echo von Hitler und Mussolini“.
Trumps Kritiker hatten Recht, schreibt der Umweltforscher Ted Nordhaus. Aber: Diese Sensibilität scheine nicht zuzutreffen, wenn prominente Umweltschützer eine ähnliche Sprache verwenden.
„Als der gefeierte und höchst parteiische Klimawissenschaftler Michael Mann letzten Monat einen Tweet veröffentlichte, in dem er mich zusammen mit Yglesias und der Klimawissenschaftlerin Judith Curry als ‚ Vampire und Kakerlaken‘ brandmarkte, die ‚es nicht mögen, wenn Menschen ein Licht auf sie werfen‘, gab es keine ähnliche Reaktion.“
Auch Verurteilungen durch prominente Journalisten, Klimaschützer und Zeitungen seien ausgeblieben, moniert Nordhaus.
2. Meinungsfreiheit einschränken
Die öffentliche Klimadebatte hat schon lange Schlagseite: Der Sonderbeauftragte für Klimafragen (Climate Zsar) der US-Regierung von Joe Biden möchte offenbar den Bias zementieren und die Meinungsfreiheit einschränken: Der Zusatzartikel zur Verfassung der USA sei „ein großes Hindernis“ für die Möglichkeit, Desinformation auszumerzen, sagt John Kerry.
„Was wir brauchen, ist, das Recht zu gewinnen, zu regieren, indem wir hoffentlich genügend Stimmen gewinnen, um frei zu sein, Veränderungen durchzusetzen“, droht Kerry.
3. Wahlkämpfer
Das Wissenschaftsmagazin „Scientific American“ hatte zum ersten Mal in seiner 179-jährigen Geschichte eine Wahlempfehlung für den US-Präsidenten ausgesprochen: für Kamala Harris.
„Zeitschriftenherausgeber sollten der Versuchung und den Forderungen nach Interessengruppenpolitik widerstehen und sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, die sowohl den allgemeinen Interessen als auch den Sonderinteressen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, allen Menschen zu dienen, besser dient“, hatte Roger Pielke Jr. kommentiert.
Doch die Chefredakteurin des Magazins ging noch weiter.
Nach der Wiederwahl von Donald Trump postete sie eine Tirade, in der sie ihre Generation beschuldigte „voller verdammter Faschisten“ zu sein und beschwerte sich darüber, wie sexistisch und rassistisch ihr Heimatstaat Indiana sei. „Fick sie zum Mond und zurück“, sagte sie über die vermeintlich dummen Highschool-Tyrannen, die Trumps Sieg feierten.
Sie hatte es übertrieben.
Nach heftigen Protesten trat Laura Helmuth als Chefredakteurin von „Scientific American“ zurück.
4. Sinneswandel
Auch die Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, Marcia McNutt, änderte ihre Haltung.
2015 hatte sie in „Science“ über den Klimawandel behauptet: „Die Zeit der Debatte ist vorbei“, „es sind dringend Maßnahmen erforderlich“.
Damit hatte sie ihre persönliche Meinung geäußert, nicht etwa den UN-Klimareport zitiert, der kein Ende der Klimadebatte behauptete, sondern sich im Gegenteil zu jener Zeit darauf vorbereitete, seinen sechsten Sachstandsbericht zu verfassen.
Jetzt widerspricht sich McNutt in „Science“ und ändert ihre Haltung:
Die wissenschaftliche Gemeinschaft „muss sich kritisch damit auseinandersetzen, welche Verantwortung sie dafür trägt, dass Wissenschaft politisch umstritten ist, und wie Wissenschaftler das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherstellen können.“
Möglicherweise, so analysiert die Energieexpertin Tisha Schuller unabhängig von dem Fall, sei der Höhepunkt des Alles-oder-Nichts-Klimaaktivismus erreicht.
5. Wissenschaftsglaube
Medien wie die „Washington Post“ allerdings setzen weiterhin „Wissenschaft“ mit Aktivisten gleich:
Er sei zwar ebenfalls im April 2017 beim “March for Science” mitgelaufen als Reaktion auf die erste US-Präsidentschaft von Donald Trump, erzählt der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Peter Strohschneider.
Als "politischer Akteur" habe er zugleich jedoch eine kritische Distanz eingenommen, "weil ich meine, dass solche Transparente und Parolen wie 'Follow the Science' oder 'Über Fakten kann man nicht diskutieren' die erkenntnistheoretische Komplexität wissenschaftlicher Wissensproduktion dramatisch unterbieten".
Sie seien im Grunde ein Ausdruck einer Wissenschaftsgläubigkeit, "die sich selber gar nicht kritisch reflektieren kann", schreibt Strohschneider in seinem Buch "Wahrheiten und Mehrheiten. Kritik des autoritären Szientismus".
Der Klimaforscher Patrick Brown rückt die Position der Klimaforschung nach der erneuten Wahl Trumps zum Präsidenten zurecht:
„Die richtige Antwort auf diese Wahl und auf das Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Institutionen besteht nicht darin, auf der Vorstellung zu beharren, die Wissenschaft sei eine Autorität, die sich Trump und den Weltanschauungen der Rechten widersetzt“, schreibt Brown.
„Stattdessen sollte die institutionelle Wissenschaft diesmal anders reagieren. Sie sollte die Grenzen der wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden viel bescheidener anerkennen und ehrlich sein, dass diese nicht die Richtigkeit verschiedener politischer Maßnahmen bestimmen“.
6. Nichtneutrale Neutralität
In Deutschland geht die Entwicklung weiter in Richtung postfaktisches Zeitalter. „Lehrer sollen mehr Werte und Haltung vermitteln statt Fakten“, fordert eine Bildungskonferenz in Niedersachsen, nach Jahrzehnten aktivistischen Schulunterrichts an deutschen Schulen.
Die Yale University in den USA hat versucht gegenzusteuern und ihren Aktivismus zu bremsen, indem sie sich gerade „institutioneller Neutralität“ verschrieben hat. Aber das ging nicht lange gut.
Sie schaltete eine Stellenanzeige für einen „Klimawandel-Kommunikator“, der die Fähigkeit mitbringen sollte, „Klimaschutzmaßnahmen anzustoßen und den öffentlichen und politischen Willen für Klimaschutzmaßnahmen zu stärken“.
Es werde interessant sein zu sehen, wie das neue Credo der „institutionellen Neutralität“ von den neuen Mitarbeitern umgesetzt werde, kommentierte Roger Pielke Jr. Klimaforschung sei nicht selten nur “politische Interessenvertretung” in einem universitären Umfeld, insbesondere der Teil, der „Kommunikation“ genannt werde.
Vielleicht wäre geholfen, wenn sich Kommunikatoren mehr an der Kommunikationsforschung orientieren würden: Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaftler und ihre Forschung werde gestärkt, sofern Wissenschaftler die Unsicherheiten und das Unwissen ihrer Themen offen zugeben würden, bestätigt gerade eine Studie.
7. Taktische Wissenschaft
Einige Klimaforscher verbreiten in den sozialen Medien die Vorstellung, dass ihre Forschung Taten erforderten, sagt Sabine Hossenfelder in einem Video. Sollten Klimaforscher ihre Forschung mit Aktivismus verbinden?, fragt sie.
In einer Zeit, in der Wissenschaft besonders häufig taktisch eingesetzt wird, um politische Standpunkte zu untermauern, kann es Anreize geben, politisch opportune Forschungsergebnisse in die wissenschaftliche Literatur zu integrieren, selbst wenn sie fehlerhaft sind.
Die Folge kann ein Chilling Effekt sein, erläutert Sabine Hossenfelder: „Wissenschaftler haben Angst, Arbeiten zu veröffentlichen, weil sie befürchten, sie könnten umstritten sein“.
Die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Österreichische Akademie der Wissenschaften hatten vergangenes Jahr in ihren „Wiener Thesen“ erklärt: Politisierte Wissenschaft bekomme schnell ein Vertrauensproblem. Aus Fakten folgten keine Handlungsanweisungen.
8. Mentalitätsfrage
Trotz der bekannten positiven Korrelation von Wohlstand und Energieverbrauch plant Deutschland im Rahmen seiner Energiewende ein beispielloses Vorhaben: seinen Energieverbrauch in den kommenden 20 Jahren fast zu halbieren:
Wie kommt es, dass Deutschland aber auch die EU mit ihrer Klimapolitik auf Einschränkung der Energieversorgung setzen, während die USA stets - auch unter Joe Biden - ihre Energieproduktion ausbauen?
“Anders als die Europäer haben die Amerikaner den gesteuerten Niedergang nicht akzeptiert", erläutert nun Konstantin Kisin.
“Sie haben keine Netto-Null-Emissionen, sie glauben an die eigene Energieproduktion und daran, sie so billig wie möglich zu machen, weil sie wissen, dass ihr Wohlstand davon abhängt.”
9. Abrechnung
Der Ökonom Hans Werner Sinn hat mit der deutschen Energiewende abgerechnet. "Die deutsche Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre war nicht nur beispiellos, sondern auch utopisch", schreibt der ehemalige Direktor des Ifo-Instituts in einem Artikel über Widersprüche und Fehlschläge des deutschen Sonderwegs:
“In Deutschland hat es eine Revolution von oben gegeben, nur dass viele Leute es noch nicht gemerkt haben. Eine Revolution ist dadurch gekennzeichnet, dass man erst das Vorhandene zerstört, um auf den Ruinen der alten Welt eine neue aufzubauen. Im Zerstören sind die Revolutionäre gut, beim Wiederaufbau leider weniger.”
Der Chef der Internationalen Energieagentur urteilt ähnlich scharf über Deutschlands Energiepolitik:
"Der erste Fehler war die enorme Abhängigkeit bei seiner Energieversorgung – speziell beim Erdgas – von Russland. Eine solche Abhängigkeit kann sich letztlich kein Land erlauben, weder ein kleines noch ein großes. Das habe ich schon 2004 dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gesagt. Der zweite Fehler war der Atomausstieg: Deutsche Atomkraftwerke liefen so zuverlässig wie Schweizer Uhrwerke...".
10. Blindflug
“Die Temperaturen werden weiter steigen”, schreibt Bundesumweltministerin Steffi Lemke, “und wir können uns nicht mit 2,5 oder 3 Grad abfinden, weil wir das nicht überleben werden.“
Weil wir also alle sterben würden, hat die Regierung die klimafreundlichen Kernkraftwerke abgeschaltet und dafür klimaschädliche Kohlekraftwerke laufen lassen? Ob das plausibel ist?
Klimaökonomen äußern vermehrt grundlegende Zweifel: „Wir befinden uns im kompletten Blindflug“, sagt Joachim Weimann über die deutsche Energiepolitik.
Ich habe Weimann gefragt, ob er auch die Erfahrung gemacht habe, dass sich Wissenschaftler und Unternehmer unter vier Augen ganz anders über die Energiewende äußern als öffentlich.
Seine Antwort: “Ja, das ist ein typisches Verhalten bei dem Thema. Einen Kollegen, der in vielen Gremien saß, habe ich mal gefragt: Warum machst du das, warum redest du den Politikern nach dem Mund? Du weißt doch, dass es Unsinn ist. Seine Antwort: Wenn ich etwas anderes sagen würde, wäre ich raus.” Axel Bojanowski
Aktuelle Hinweise:
Das Magazin “Buchszene” lobt mein neues Buch über die Klimadebatte:
Auch die Dezember-Ausgabe von “National Geographic History” lobt mein Buch:
Amardeo Sarma vom traditionsreichen Wissenschaftsverband “GWUP” hat mit mir eine Stunde über den Klimawandel gesprochen, hier gibt es das Video.