Was Wissenschaft ihre Autorität verleiht, ist die Vorstellung, dass sie zumindest danach strebt, objektive Analysen zu liefern, anstatt zielorientierte Interessenvertretung zu betreiben. Artikel in den führenden Wissenschaftsmagazinen lassen gelegentlich zweifeln.
Allzu oft unterliegen die Zeitschriften der Verlockung, von Massenmedien zitiert zu werden - und die fressen ihnen gerne aus der Hand.
In “Nature” erschien gerade solch ein paper, das von vorneherein auf Anschlussfähigkeit an eine große Öffentlichkeit angelegt worden zu sein scheint. Es ging um die Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Landwirtschaft:
Die Studie war ein medialer Selbstgänger - Tenor: Der Klimawandel mindert die Ernte weltweit erheblich:
Allerdings waren all diese Artikel falsch.
Doch in Sozialen Netzwerken war das Entsetzen groß:
All die Beiträge missinterpretierten das “Nature”-paper, das drei beliebte Fallen gestellt hatte, um medial verwertbar zu sein.
Die drei Fallen der Studie - die dritte ist die wichtigste:
Grundannahmen waren unrealistisch: Die Studie prognostiziert die Auswirkungen auf die Ernte unter einem SSP3-Szenario für die Wirtschaft und dem Erwärmungsszenario RCP8.5, das längst als abwegig ausgemustert wurde. Hinzu kommt, dass das SSP3-Szenario gar nicht genügend Energiebedarf bedeutet, um eine Erwärmung von 8,5 W/m² (daher RCP8.5) zu erzeugen, selbst nicht im pessimistischen Fall.
Die Studie lässt technologische Innovationen außen vor, was gerade angesichts der Erfahrungen in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten unsinnig erscheint: Grüne Revolution und moderne Technik haben die Ernteerträge verdreifacht - dabei waren in den 1960er-Jahren extreme Hungersnöte vorhergesagt worden:
In dem paper ist mehrfach von globalen „Produktionsrückgängen“ und „Verlusten“ die Rede. Erst wer weiterliest, findet das Entscheidende: Die Autoren räumen ein, dass Technologie die Ernteerträge weiter steigern dürfte, lassen den Effekt aber außen vor.
Ihre Projektionen seien “Abweichungen von Basisertragstrends, die historisch gesehen im Allgemeinen positiv waren und wahrscheinlich auch bleiben werden”, schreiben sie.
Der “Nature”-Artikel legt also nahe, dass die globale Ernte bis 2100 zurückgehen wird - tatsächlich aber prognostiziert er lediglich, dass die Erträge langsamer wachsen könnten als ohne Klimawandel, sie also sehr wahrscheinlich insgesamt weiter steigen werden.
Ein beliebter Trick
Der Klimaforscher Patrick Brown hat solche Trickserei unlängst angeprangert. Allzu viele Studien fokussierten auf den Klimawandel als Faktor negativer Entwicklung, ließen aber außen vor, dass er in vielen Fällen die insgesamt positive Entwicklung nur geringfügig mindert:
Patrick Brown hatte vergangenes Jahr beschrieben, dass Wissenschaftler ihre Studien entsprechend konzipieren, um bei “Nature” überhaupt eine Chance auf Publikation zu haben.
Die Wirklichkeit der Ernte
Künftige Ernte hänge vor allem von der Verfügbarkeit von Traktoren, Dünger und Bewässerung ab, berichtet die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO. Der Klimawandel spiele eine untergeordnete Rolle, auch wenn örtlich mehr Dürre drohe, schreibt die FAO in ihrem Bericht „Die Zukunft von Lebensmitteln und Landwirtschaft – Alternative Wege bis 2050“.
Bis Mitte des Jahrhunderts könnten die globalen Ernteerträge demnach um 30 Prozent steigen, in den ärmsten Teilen der Welt, wie etwa in Afrika südlich der Sahara, wären Steigerungen von 80 bis 90 Prozent möglich.
„Wir fanden keinen Hinweis darauf, dass Projektionen mit Klimawandel statistisch abweichen von Projektionen ohne Klimawandel“, resümierte ein Team niederländischer Wissenschaftler in einer Meta-Studie zur globalen Ernteentwicklung in „Nature“. In der im Juli 2021 veröffentlichten Analyse bilanzieren sie: „Fast alle Projektionen zeigen eine Abnahme von Unterernährung.“ Axel Bojanowski
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