Scheuklappen der Klimaforschung
Die tendenziöse Rückkopplungsschleife der großen Wissenschaftsmagazine
Große Ehre für mich: Geowissenschaftler haben mir einen Preis verliehen:
Meinen Vortrag, den ich auf der Preisverleihung gehalten hatte, habe ich bereits bei WELT veröffentlicht.
Deshalb möchte ich hier einen anderen Vortrag vorstellen, der es verdient bekannter zu werden. Der Klimatologe Patrick Brown hat analysiert, wie die einflussreichsten Wissenschaftsmagazine Ergebnisse der Klimaforschung verzerren. Weiter unten präsentiere ich ein paar interessante Ausschnitte aus seinem Vortrag.
Dass Wissenschaftsmagazine Anreize haben, eine problematische Auslese an Studien zu publizieren, dürfte eigentlich kaum überraschen. Allein ein Blick auf “The top 10 climate papers in 2023” offenbart, welche Art von Studien am meisten Aufmerksamkeit erhalten:
Klima-Katastrophismus bringt Popularität, dass ergaben auch Experimente auf Sozialen Medien:
"We ran hundreds of Facebook tests about extreme weather... most engagement had a blunt message of attribution: This is climate change."
Sozialforscher haben gerade wieder bestätigt, dass auch Wissenschaftler zu Voreingenommenheit neigen. Ihre Studie dokumentierte auf Grundlage empirischer Belege soziale Ursachen für Verzerrungen in der wissenschaftlichen Literatur:
“Gutachter bewerten Forschung positiver, wenn die Ergebnisse ihre früheren Überzeugungen, theoretischen Orientierungen und politischen Ansichten stützen.”
“Bestätigungsvoreingenommenheit und andere Formen motivierter Kognition können eine sich selbst verstärkende Dynamik anheizen, in der Zensur und Selbstzensur empirische Infragestellungen vorherrschender Schlussfolgerungen verhindern und einen falschen Konsens fördern, der abweichende Meinungen weiter entmutigt.”
„Eine systematische Zensur und damit systematische Missverständnisse könnten entstehen, wenn die Mehrheit der Wissenschaftler bestimmte Präferenzen oder Vorurteile teilt, die ihre wissenschaftlichen Bewertungen beeinflussen.“
High Impact Journals
Die großen Wissenschaftsmagazine sehen sich in einem besonderen Wettbewerb um Relevanz: Als Zwitterwesen zwischen ihrem aufmerksamkeitsabhängigen Verkaufsgeschäft und dem Kampf um wissenschaftliche Dominanz haben die bekanntesten Magazine den Ruf “Boulevardzeitungen der Forschung” zu sein.
Die Magazine ernten den Großteil der medialen Aufmerksamkeit für Wissenschaft: 86 Prozent der 50 am meisten zitierten Studien stammten 2022 aus “High Impact Journals” wie “Science” und Nature”, berichtet Patrick Brown:
Die Magazine pflegen einen direkten Draht in die Massenmedien. Sie geben Studien mit Sperrfrist raus, die es Journalisten erlaubt, sich in Ruhe auf einen Bericht vorzubereiten. Sperrfristen provozieren einen Herdeneffekt: Redaktionen wissen, dass konkurrierende Medien berichten könnten, was nach Journalistenverständnis einen eigenen Bericht legitimiert.
Die Präsenz in den Massenmedien ist Teil des Geschäftsmodells der Wissenschaftsmagazine. Mit passenden Bildern, Zusammenfassungen und Interviewmöglichkeiten erleichtern sie es Journalisten, über Studien zu berichten.
Eine typische Aufmachung der Magazine (von dieser Woche):
Der Status
Ihren Status als “High Impact Journals” sichern sich die Magazine mit einem hohen “Impact Factor”, also damit, dass von ihnen publizierte Studien häufig zitiert werden. Je mehr Zitierungen, desto höher wird der “Impact Factor”.
Studien in den “High Impact Journals” bringen am meisten Zitationspunkte, die bei Bewerbungen an Hochschulen ein entscheidendes Qualitätsmerkmal sind, insbesondere bei der Vergabe von Professorenstellen in den Naturwissenschaften.
Karrierebewusste Wissenschaftler schicken ihre Studien zuerst an die großen Magazine. Die “High Impact Journals” haben die Auswahl: “Nature” und “Science” etwa publizieren nur acht beziehungsweise sechs Prozent der eingereichten Studien.
Veröffentlichungen in “High Impact Journals” sind so begehrt, dass die Magazine Geld nehmen können von Wissenschaftlern: Wer zu seiner Studie eine Grafik veröffentlichen möchte, zahlt bei manchen der Magazine knapp 1000 US-Dollar.
Nature fordert einen „Cover Letter“, auf dem Forscher ihre Studie anpreisen sollen: Sie müssen rechtfertigen, warum ihre Arbeit in einem “High Impact Journal” akzeptiert werden soll.
Die Planung
Entsprechend fängt die Planung der Studie an, sofern sie im “High Impact Journal” akzeptiert werden soll: Die Präferenzen der Magazine sollten eingeplant werden, um Chancen auf Akzeptanz zu erhöhen, erläutert Patrick Brown in seinem Vortrag:
Nachdem “Science”-Chefredakteurin Marcia McNutt 2015 das Editorial „The Beyond 2 Degree Inferno“ verfasst hatte, in dem sie von „Sündern“, von „Dantes Inferno“ und von der Schädlichkeit von Wirtschaftswachstum schrieb, war klar, wo sich das Magazin positionierte - Forschungsergebnisse mit entsprechender Rahmung würden Anklang finden in der Redaktion.
Auch “Nature” legte sich fest, als es im Oktober 2020 zur Wahl des US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden aufrief, auch wegen seiner Klimapolitik.
In “Nature” veröffentlichte Klima-Studien fielen durch Einseitigkeit auf, bilanziert Brown: Eine Arbeit von 2018 über Kosten von Erwärmung etwa ignorierte die Kosten der Mitigation, so als ob CO2-Minderung sich zu jedem Preis lohnen würde.
Patrick Brown reichte daraufhin nach eigenen Angaben bei „Nature“ ein paper ein mit ergänzter Berechnung der Mitigationskosten – es seit abgelehnt worden, ohne für die Peer Review zugelassen worden zu sein, erzählt er. Dabei betraf die Debatte eine zentrale Frage des Klimaproblems: die Abwägung von Klimawandel-Kosten und Klimaschutz-Kosten.
Die Verzerrung
Ein anderes “Nature”-paper warnte 2021 vor Hitzetoten, mahnte mehr Mitigation an, ließ aber den erwärmungsbedingten Rückgang von Kältetoten außen vor. Würde die Verringerung von Kältetoten im Zuge der globalen Erwärmung von „Nature“ als Studienthema angenommen? Nein, meint Patrick Brown.
Ein weiteres “Nature”-paper 2021 warnte davor, negative Auswirkungen der Erwärmung auf die Landwirtschaft würden früher eintreten als erwartet; die Studie schaffte es auf das Cover von “Nature”.
Dabei dokumentierte die Studie das Gegenteil, berichtet Brown: Fortschreitende Erwärmung dürfte für Landwirtschaft außer bei Mais eher Vorteile bringen. Die Arbeit hätte also positiv gerahmt werden können, wäre so aber kaum akzeptiert worden, meint der Klimatologe.
Patrick Brown analysierte die Klima-Studien von “Science” und “Nature” der vergangenen fünf Jahre: 75 Prozent hätten zu schnellerer CO2-Mitigation motivieren sollen. Das von Google mit höchster Relevanz gelistete paper forderte in “Science” die Stabilisierung bei 1,5 Grad.
Keine einzige Studie in der Zeit hätte mögliche Überambitioniertheit bei Mitigation diskutiert, resümiert Brown.
Das Tabu
Eine “Science”-Studie aber hätte optimistischen Ton angeschlagen (“The global tree restoration potential”): „Die Wiederherstellung von Waldflächen auf globaler Ebene könnte dazu beitragen, atmosphärischen Kohlenstoff einzufangen und den Klimawandel abzumildern”.
Die Arbeit wurde sogleich öffentlich attackiert:
“Exaggerating how much carbon dioxide can be absorbed by tree planting risks deterring crucial climate action”, titelten Kontrahenten.
Ihr Aufsatz machte klar, dass es sich um politische Kritik handelte. Die Baum-Theorie hätte die UN-Klimaziele von Paris aufgeweicht, mahnten die Widersacher:
„Our research suggests that the promises implied in such studies could actually set back meaningful action on climate change. This is because of what we call "mitigation deterrence"— promises of cheap and easy CO2 removal in future make it less likely that time and money will be invested in reducing emissions now.“
“Science” gab Kritik ungewöhnlich viel Raum, das Magazin erlaubte vier Antworten und erzwang ein Erratum, das den Nutzen der UN-konformen CO2-Mitigation herausstellte:
„First, in the original version of the Report, the authors stated in the abstract and in the main text that tree restoration is the most effective solution to climate change to date. This was incorrect. They meant that they know of no other current carbon drawdown solution that is quantitatively as large in terms of carbon capture. They did not mean that tree restoration is more important than reducing greenhouse gas emissions or should replace it.“
Die Bilanz
Patrick Brown resümiert:
Die Reise von den Rohdaten zur Öffentlichkeit führe durch sechs Nadelöhre:
“High Impact Journals” fokussierten auf negative Auswirkungen der globalen Erwärmung.
Positive Entwicklungen würden nicht betont, selbst wenn Indikatoren in der präsentierten Studie positive Entwicklungen dokumentierten, ob bei Landwirtschaft, der Kalorien-Versorgung der Bevölkerung, bei Trinkwasser-Versorgung, beim Rückgang von Infektionskrankheiten, beim Rückgang der Totenzahl durch Extremtemperaturen und anderen Wetterextremen. Ein wesentlicher Grund für all die Fortschritte, die bessere Energieversorgung ermöglicht durch fossile Energien, bliebe unerwähnt - es werde im Gegenteil stets betont, dass die bislang effektivsten Energien eliminiert werden sollten.
Eine Abwägungen von Klimawandel-Kosten fände kaum statt, obwohl die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad bis 2050 schätzungsweise sieben Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung pro Jahr kosten würde. Dabei schriebe das Paris-Abkommen keine Geschwindigkeit der CO2-Mitigation vor (lediglich 1,5 bis 2 Grad bis 2100).
Der Selbstversuch
Patrick Brown kennt die Verhältnisse aus erster Hand. Unlängst hatte er in “Nature” eine Studie über Waldbrandrisiko in Kalifornien im Zuge zunehmender Erwärmung veröffentlichen können. Das paper erfuhr enthusiastische Rezeption von Massenmedien weltweit.
“Viele freundliche Interviews und Glückwünsche” habe es gegeben, berichtet Brown. Die Stimmung änderte sich aber radikal, als Brown einen Artikel darüber publiziert hatte, wie er die Fakten für sein “Nature”-paper selektiert hatte, um die Chance auf Veröffentlichung zu erhöhen.
Einen Teil der Wahrheit habe er weggelassen, um sein Papier durch die Begutachtung zu schleusen, berichtet Brown. Er habe sich „an eine Erzählung gehalten, von der ich wusste, dass sie den Redakteuren gefallen würde“. Das sei aber nicht die Art und Weise, wie Wissenschaft eigentlich funktionieren sollte.
Seine Studie habe ausschließlich darauf fokussiert, wie sich der Klimawandel auf das Verhalten extremer Waldbrände auswirke. „Täuschen Sie sich nicht: Dieser Einfluss ist sehr real“, schreibt Brown.
„Aber es gibt auch andere Faktoren, die genauso wichtig oder wichtiger sein können, beispielsweise schlechte Waldbewirtschaftung und die zunehmende Zahl von Menschen, die versehentlich oder absichtlich Waldbrände auslösen.”
Die ganze Wahrheit aber hätte „von der sauberen Erzählung abgelenkt, die sich auf die negativen Auswirkungen des Klimawandels konzentriert, und damit die Chance verringert, dass die Arbeit bei den Redakteuren und Gutachtern von ‚Nature‘ bestehen würde“, erläuterte Brown.
In Wahrheit deuteten aktuelle Forschungsergebnisse darauf hin, dass Änderungen in der Waldbewirtschaftung die nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf Waldbrände vollständig zunichtemachen könnten.
In seiner Studie habe er sich nicht die Mühe gemacht, den Einfluss jener anderen Faktoren zu untersuchen, gestand Brown. Dabei hätte das „zu einer realistischeren und nützlicheren Analyse“ geführt. Er habe gesellschaftlichen Mehrwert geopfert, um die Präsentation den bevorzugten Narrativen der Herausgeber und Gutachter anzupassen.
Versierte Klimaforscher wüssten, dass ihre Studien das „Mainstream-Narrativ unterstützen sollten – nämlich, dass die Auswirkungen des Klimawandels sowohl allgegenwärtig als auch katastrophal sind“, schrieb Brown.
Wer das Narrativ relativiere, etwa durch die Erörterung der Wirksamkeit praktischer Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, mindere seine Chancen auf Veröffentlichung.
In der Klimawissenschaft ginge es mittlerweile weniger darum, die Komplexität der Welt zu verstehen, sondern vielmehr darum, „als eine Art Kassandra zu dienen, welche die Öffentlichkeit eindringlich vor den Gefahren des Klimawandels warnt“.
„So verständlich dieser Instinkt auch sein mag, er verzerrt einen großen Teil der klimawissenschaftlichen Forschung, informiert die Öffentlichkeit falsch und erschwert vor allem praktische Lösungen“, kritisierte der Forscher.
Die Reaktionen
Browns Artikel über seine “Nature”-Studie erntete wütende Reaktionen anderer Klimaforscher. Browns Handlungen seien „monumental unethisch“, sagte beispielsweise Gavin Schmidt, Direktor des Goddard Institute for Space Studies der NASA.
Ein ausführlicher “Faktencheck” widerlegte zwar nicht die Darstellungen Browns, rückte seine Kritik aber faktencheckeresk ins politisch rechte Lager.
Er habe aber auch viel Unterstützung erfahren aus der Klimaforschung, berichtet Brown in seinem Vortrag, die meiste jedoch auf nicht-öffentlichen Kanälen.
Vereinzelt meldeten sich Klimaforscher auch öffentlich mit Zuspruch: „Die meisten von uns wissen, dass es wahr ist, aber nur wenige sagen es“, bestätigte der Klimaforscher Pete Irvine vom University College London die Analyse Browns. Publikationsträchtige Studien müssten „so gestaltet werden, dass sie das vorherrschende Narrativ über den Klimawandel unterstützen“. Axel Bojanowski