Dies ist ein Gastbeitrag des renommierten Energieforschers Prof. André Thess* anlässlich der Veröffentlichung seines sehr empfehlenswerten Buches “Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf”.
Energie und Klima spalten Deutschland - ambitionierter Ausbau der Erneuerbaren gegen zielstrebigen Wiedereinstieg in die Kernenergie. Gibt es eine Alternative zu diesen planwirtschaftlichen Sackgassen? Ein Energiegipfel könnte Frieden schaffen.
Im Stimmenkampf für die Bundestagswahl prallten gegensätzliche Strategien für Energie- und Klimapolitik mit voller Wucht aufeinander.
Einige Parteien, nennen wir sie zur Vermeidung der Begriffe „links“ und „rechts“ die ökologisch-sozialen (ÖS), wollen laut ihren Wahlprogrammen den „Kurs beim erreichten Rekord-Ausbautempo“ erneuerbarer Energie halten, „eine Solarpflicht für Neubauten sowie für Bestandsbauten nach einer umfassenden Dachsanierung“ einführen und dafür sowohl den „Deutschlandfonds [nutzen,] als auch die Reform der Schuldenbremse“ vornehmen.
Die andere Fraktion, nennen wir sie die freiheitlich-konservativen (FK), will hingegen einen Wiedereinstieg in die Kernenergie. Konkret setzt die Gruppe in ihren Wahlprogrammen „auf die Forschung zu Kernenergie der vierten und fünften Generation, Small Modular Reactors und Fusionskraftwerke[…]“ sowie darauf, dass „Kernkraftwerke der neuen Generation, etwa Dual-Fluid-Reaktoren, Thorium-Flüssigsalzreaktoren oder Small Modular Reactors in Deutschland rechtssicher gebaut werden können.“
Irrwege der Planwirtschaft
Beide Strategien werden von breiten Wählerkreisen unterstützt. Beide sind mit wohlklingenden Narrativen ausgeschmückt – von Sonne und Wind, die keine Rechnung schicken und vom preiswerten Atomstrom im Überfluss. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stünden die Pläne in diametralem Gegensatz. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich hingegen bei beiden um Irrwege in die staatliche Planwirtschaft. Unterschiedlich nur in der Form, nicht in der Sache.
Beide Seiten bürden dem Steuerzahler nämlich Belastungen in Milliarden- wenn nicht gar in Billionenhöhe auf. In einem Fall über die milliardenschweren EEG-Subventionen, die seit 2023 aus dem Staatshaushalt bezahlt werden. Im anderen Fall über die Entwicklungs- und Baukosten für neuartige Reaktoren, gegen die die Mehrkosten für Berliner Flughafen und Stuttgarter Hauptbahnhof Peanuts sein dürften.
Beide Spielarten staatlicher Planwirtschaft, ganz gleich ob solar oder atomar, können Deutschland nicht nur in den finanziellen Ruin führen. Der ehemalige Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen sagte im Jahr 2021 bei einer Podiumsdiskussion gar: „Die Energiewende hat das Potenzial zum Bürgerkrieg!“
Gibt es einen Ausweg aus der planwirtschaftlichen Sackgasse? Noch grundsätzlicher ist die Frage: Kann der Widerstreit zwischen Klimaaktivisten und Klimakritikern befriedet werden? Es scheint schwierig, zwischen den unversöhnlichen Fraktionen Frieden zu schließen. Doch ist es wirklich unmöglich? Mein soeben erschienenes Buch „Der Energiegipfel“ hat sich dieser Frage angenommen.
Seine zentrale These lautet, dass der Schlüssel für die Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts in einer Neubewertung der Rolle des Staates liegt.
Der deutsche Staat hat sich während der 70 Jahre seit dem Atomeinstieg 1955 intensiv in der Energiepolitik engagiert. In den vergangenen 30 Jahren kam die Klimapolitik hinzu. Über Erfolg oder Misserfolg staatlicher Weichenstellungen zu Energie und Klima gehen die Einschätzung weit auseinander.
Aussichtsloser Widerspruch
Es scheint aussichtslos, den Widerspruch zu befrieden, indem eine der beiden Seiten die andere von ihrem Standpunkt überzeugt – ebenso wie es in den 500 Jahren seit der Reformation keine Einigung zwischen evangelischer und katholischer Kirche gegeben hat.
Eine Bekehrung der Klimakritiker-Fraktion zu ambitioniertem Klimaschutz halte ich für ebenso unwahrscheinlich wie die Einführung des Zölibats in der evangelischen Kirche. Und vermutlich wird die katholische Kirche eher eine Päpstin wählen, als dass sich ein Klimakleber davon abbringen lässt, den Klimawandel für die größte Herausforderung der Menschheit zu halten.
Auch freie Wahlen – eigentlich der Königsweg zum Interessensausgleich in einem demokratischen Rechtsstaat – sind vermutlich für die dauerhafte Auflösung eines so tiefgreifenden und verhärteten Zerwürfnisses ungeeignet.
Gewinnt eine Seite bei einer Wahl die Oberhand, wird sie als Erstes eifrig die aus ihrer Sicht falschen Klima- und Energiegesetze der Vorgängerregierung aufheben oder entschärfen, um nach vier Jahren in der nächsten Wahlperiode zuschauen zu dürfen, wie ihre politische Konkurrenz in einer Nachfolgeregierung alle Entscheidungen wieder zurückdreht.
Dieses Hin-und-her bewirkt das genaue Gegenteil der Berechenbarkeit, die sich Bürger und Unternehmer eigentlich wünschen.
Der Vorschlag
Nach meiner Überzeugung liegt der Schlüssel zur Lösung des gesellschaftlichen Konflikts darin, die Rolle des Staates bei Energie und Klima grundsätzlich zu überdenken. Um dem Staat eine angemessene Rolle zuzuweisen, schlage ich einen Energiegipfel ähnlich den Westfälischen Friedensverhandlungen vor.
Der Energiegipfel sei ein mehrtägiges Treffen, bei dem sich Vertreter der unterschiedlichen politischen Strömungen zusammensetzen und über einen möglichen Weg in einen Energie- und Klimafrieden verhandeln.
Die erste Frage
Die Verhandlungen könnten in vier Schritten erfolgen. In einem ersten Schritt bekommen die Gipfelteilnehmer die Aufgabe, die wichtigsten Fakten über acht staatliche Entscheidungen der vergangenen siebzig Jahre zusammenzutragen, die die Energie- und Klimapolitik Deutschlands geprägt haben:
Atomeinstieg
Atomausstieg
Kohlepfennig
Kohleausstieg
Erdgas-Röhrengeschäfte zwischen der alten Bundesrepublik und der Sowjetunion
Einstellung der Erdgaslieferungen aus Russland seit 2022
Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG
De-facto-Verbote von Verbrennungsmotoren und Gasheizungen.
Die zweite Frage
Als zweiten Schritt sollen die Gipfelteilnehmer die Frage beantworten, wie die Energieversorgung Deutschlands heute aussähe, wenn es in der Vergangenheit weder energie- noch klimapolitische Maßnahmen gegeben hätte - abgesehen von Antimonopol- und Emissionsschutzgesetzen.
Diese beiden Instrumente werden selbst von Libertären akzeptiert, weil sie Eigentum und öffentliche Ordnung schützen. Schritt zwei dient dazu, einen Vergleichsmaßstab herzustellen. An diesem kann dann die tatsächliche Politik bewertet werden.
Die dritte Frage
Aufwändigster Teil des Energiegipfels wäre der dritte Schritt. Hier erhalten die Teilnehmer die Aufgabe: „Bitte analysieren Sie für jede der acht Maßnahmen, wie sie sich auf Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung im Vergleich zu einem hypothetischen Minimalstaat Deutschland ohne Energie- und Klimapolitik ausgewirkt hat.“
Das ergibt 24 Fragen, deren Beantwortung intensive Diskussionen erfordern würde. Aus den Antworten ergibt sich eine Bilanz aus 70 Jahren deutscher Energie- und Klimapolitik.
Die vierte Frage
Nachdem mein Buch auf diese Fragen eine Antwort gibt, kommt als vierter Schritt der kreative Teil des Konvents mit der Aufgabe: „Leiten Sie aus dieser Bilanz einen Friedensplan ab, der für alle Gipfelteilnehmer annehmbar ist.“ Auf diese Frage wird im Buch eine Antwort formuliert – den Friedensplan für Energie und Klima – der für die hypothetischen Verhandlungspartner annehmbar sein könnte.
Der Friedensplan ruht auf zwei Säulen, einer Trennung von Klima und Staat sowie auf einer defensiven Energiepolitik. Ob ein solcher Friede tatsächliches Verhandlungsergebnis wäre, gehört ins Reich der Spekulation.
Am Ende eines Energiegipfels könnte im Erfolgsfall ein Kompromiss stehen. Es wäre besser, den Konflikt jetzt zu befrieden, als jahrzehntelang miteinander zu kämpfen.
“Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf”, Langen Müller Verlag, hier ist das Buch bestellbar.
*Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Leiter eines Energieforschungsinstituts. Der Beitrag enthält Auszüge aus seinem neuen Buch.
In meinem Buch über den Klimastreit erzähle ich, wie das Thema Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft geriet und dabei unter die Räder kam; hier bestellbar.