Der Energiewende-Staat
Wie ein kleiner Zirkel von Lobbyisten und Politikern Deutschland umkrempelte
Dies ist ein Auszug aus dem hochinteressanten Buch “Akte Atomausstieg” von Cicero-Redakteur Daniel Gräber.
Den Verfechtern der antinuklearen Energiewende ist es gelungen, eine gut geölte Maschinerie der Meinungsmache und Machtdurchsetzung zu schaffen, in der politische von wirtschaftlichen Interessen kaum mehr zu unterscheiden sind. Lobbyorganisationen der zur Milliardenbranche herangewachsenen Erneuerbaren-Industrie geben sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit.
Doch ihre Studien, die belegen sollen, dass der große Umbau der Stromversorgung in Richtung Wetterabhängigkeit funktioniert, bauen meist auf so unrealistischen Annahmen auf, dass ihr Ergebnis eine reine Wunschvorstellung ist.
In all den Jahren seit dem rot-grünen Atomausstiegsbeschluss 2000, der mit einer massiven staatlichen Förderung des Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik verbunden wurde, ist ein für Außenstehende schwer zu durchschauendes Geflecht aus Propagandisten, Profiteuren und Entscheidern der deutschen Energiewende entstanden.
Und das Problem ist: Für dieses Geflecht interessierte sich lange Zeit kaum jemand. Weder Journalisten noch Politiker. So wuchs und wucherte es im Schatten der kritischen Öffentlichkeit.
Die Anti-Atomkraft-Bewegung hat damit das nachgeahmt, was sie zuvor bekämpfte: den „Atomstaat“. Denn auf dessen Verfilzungen von Energiepolitik und Energiewirtschaft in den 1980er Jahren bezieht sich die eingangs zitierte Diagnose, die inzwischen genauso treffend den „Energiewende-Staat“ beschreiben könnte. Sie stammt aus dem Vorwort des 1987 erschienenen Nachschlagewerks „Wer mit wem in Atomstaat und Großindustrie“.
Politische Parteien seien bekanntlich Machterwerbsgruppen, schrieb das anonyme Autorenkollektiv. „Bei der Postenbesetzung geht es häufig nicht allein um die reine ‚Versorgung‘ durch Postenvergabe, sondern auch um den Versuch, bestimmte Wirtschaftsinteressen besser als bisher in die staatliche Administration einzubeziehen und über die Wahlperiode hinaus die eroberte Macht festzuschreiben.“
Dass diese Kunst, die damals den kernkraftfördernden Parteien CDU, CSU und anfangs noch SPD zugeschrieben wurde, die Grünen mindestens ebenso meisterhaft erlernt haben, offenbarten die ministeriumsinternen Vorgänge rund um die Laufzeitverlängerungsdiskussion ab Februar 2022.
Zu diesem Schluss kommt auch die Technikhistorikerin Anna Veronika Wendland, die einst als Atomkraftgegnerin aktiv war und später zur entschiedenen Befürworterin dieser Technologie wurde.
„Ursprünglich trat man mit der Idee an, die einstmaligen Verfilzungen hinter sich zu lassen und mit den Erneuerbaren Energien gegen die ‚autoritäre‘ Atomkraft ein neues Zeitalter der Demokratie und der Transparenz einzuleiten. Mit sanften, ungefährlichen Energien und dezentralen Strukturen zeichnete man im grünen Milieu eine ökologische Utopie“, kommentierte Wendland die von Cicero aufgedeckten Machenschaften im Wirtschafts- und Umweltministerium.
„Die Enthüllungen zeigen in aller Deutlichkeit, dass man für die Etablierung der Energiewende letztlich die gleichen Filzstrukturen wieder aufbaute – nur mit anderen Akteuren.“
Zur Jahrtausendwende habe die rot-grüne Koalition das politische Fundament für den Energiewende-Staat gelegt. „Grüne und Sozialdemokraten etablierten in den Ministerien in den folgenden Jahrzehnten eine Art staatliche Energiewende-Lobby. Beamten und Staatssekretäre trieben das große Projekt des Atomausstiegs systematisch voran.“
Das politische Fundament des Energiewende-Staats besteht aus zwei Gesetzen: dem im Jahr 2002 geänderten Atomgesetz, das das schleichende Ende der Kernkraft in Deutschland besiegelte, und dem schon im Jahr 2000 in Kraft getretenen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dieses Gesetz, das von seinen Erfindern und Nutznießern bis heute als epochale Errungenschaft gefeiert wird, ist der Grund dafür, weshalb die Energiewende so teuer und ineffizient wurde.
Das EEG ist die in Paragrafen gegossene Verwirklichung der von Amory Lovins erfundenen, moralisch aufgeladenen Unterscheidung zwischen harten und sanften Energien. Denn es bevorzugt einzelne Technologien zur Stromerzeugung – Windkraft, Solarenergie, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie – gegenüber allen anderen. Um die Zustimmung des Kohleflügels der SPD zu sichern, mogelte man auch noch Grubengas, das beim Bergbau entsteht, hinzu.
Das EEG nahm diese auserkorenen Energiequellen aus dem marktwirtschaftlichen Geschehen heraus und sicherte ihnen nach planwirtschaftlicher Logik die garantierte Abnahme zu festgelegten Preisen zu – unabhängig vom aktuellen Strombedarf. Beim eigentlich erwünschten Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, das mit der zur selben Zeit eingeleiteten Liberalisierung des europäischen Strommarktes gestärkt werden sollte, waren die Erneuerbaren außen vor.
Dies führte zum beabsichtigten Ausbau dieser Erzeugungsformen, denn für Investoren war das Risiko fortan gering. Insofern war das EEG ein voller Erfolg.
Doch dieser Ausbau um des Ausbaus willen, der vollkommen losgelöst von den Gegebenheiten des vorhandenen Stromnetzes und den Schwankungen der Stromnachfrage stattfand, ist zugleich der Grund dafür, dass die Energiewende – so wie alle planwirtschaftlichen Vorhaben – an der ökonomischen Realität scheitert. Sie ist viel zu teuer geworden und kann die Anforderung, eine stabile Stromversorgung zu sichern, dennoch nicht erfüllen.
Die Absurdität der EEG-Logik zeigt sich an Mittagsstunden, in denen die Sonne auf die Solaranlagen knallt und so viel Strom ins Netz pumpt, den in diesem Moment aber niemand braucht, dass der Strompreis an der Börse auf null sinkt oder sogar negativ wird.
Das bedeutet: Die Netzbetreiber müssen noch dafür zahlen, dass ihnen jemand diesen Strom abnimmt. Gleichzeitig sind sie verpflichtet, den Stromerzeugern einen gesetzlich festgelegten Preis zu zahlen. Es entstehen also zweifache Kosten, und die werden auf die Allgemeinheit umgelegt – über die Stromrechnung (EEG-Umlage) und zum Teil aus der Staatskasse, weil damit kaschiert werden soll, wie marktfern die Erneuerbaren liefern.
Für neuere und größere Anlagen gelten inzwischen zwar andere Regeln, weil die Politik das Problem erkannt hat und ständig nachbessert, aber das ist nur Stückwerk. Und für sehr viele Anlagen gilt die über einen Zeitraum von 20 Jahren garantierte EEG-Förderung weiterhin.
Als Schöpfer des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gelten vier damalige Bundestagsabgeordnete: Michaele Hustedt und Hans Josef Fell (beide Grüne), Hermann Scheer und Dietmar Schütz (beide SPD).
„Als die Rot-Grüne Koalition die Bundestagswahl (1998) gewonnen hatte, haben wir darauf gewartet, dass ein entsprechender Gesetzentwurf von den zuständigen Ministerien kommt. Aber das grüne Umweltministerium war durch das von der SPD geführte Wirtschaftsministerium blockiert. So haben wir, und das ist sehr selten, als Bundestagsfraktionen ein eigenes Gesetz erarbeitet und eingebracht“, blickte Michaele Hustedt in der Fachzeitschrift Sonnenenergie auf die Entstehungszeit des EEG zurück.
Die Sozialdemokraten waren in dieser Frage gespalten. Im Zusammenhang mit einer späteren Novelle des Gesetzes betonte Hustedt „sehr harte Auseinandersetzungen“ mit dem Koalitionspartner. „Aber die pro Energiewende-SPD und die Grünen haben gut zusammengearbeitet und sich gegen den Wirtschaftsflügel der SPD inclusive jeweiliger Wirtschaftsminister (Werner Müller und Wolfgang Clement) durchgesetzt.“
Was Hustedt, die von 1994 bis 2005 im Bundestag war, in dem 2017 veröffentlichten Gespräch auch deutlich machte: Erste Priorität hatte der Atomausstieg, erst dann kamen die „Erneuerbaren“. Sie sollten die Lücke füllen, die abgeschaltete Kernkraftwerke hinterlassen.
„Bei der Gründung der Grünen Partei 1979/80 war das Thema Erneuerbare Energien noch nicht sehr wichtig. Damals standen Umweltthemen stärker im Vordergrund“, so Hustedt. „Auch das Klimathema war noch nicht vordergründig; das kam erst 1988/1989 auf die politische Agenda.
Bei der Gründung der Grünen stand eher der Bericht des Club of Rome Pate: ‚Die Grenzen des Wachstums‘. Die Endlichkeit der Ressourcen, natürlich der Atomausstieg, das Waldsterben und vor allem die Abfallpolitik waren die heißen Themen.“
Es ist wichtig, diese historische Reihenfolge zu kennen. Denn sie erklärt, weshalb es den Grünen noch im Jahr 2022 leichter fiel, stillgelegte Kohlekraftwerke zu reaktivieren, anstatt die Stilllegung von Kernkraftwerken zu verschieben.
Als im Juni 2000 der rot-grüne „Atomkonsens“, die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Kernkraftwerksbetreibern zum schrittweisen Ausstieg, geschlossen war, pries der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder dies in seiner Bundestagsrede als historischen Erfolg und betonte: „Weiterhin – das ist mir wichtig – setzen wir auf die heimischen Energieträger, also auf Steinkohle und Braunkohle gleichermaßen. Moderne Kraftwerke mit niedrigen Umweltbelastungen und hohen Wirkungsgraden weisen da den Weg.“
Direkt nach ihm ergriff Angela Merkel das Wort. Sie war erst im April 2000 zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt worden. Unter Kanzler Kohl war sie zuletzt als Bundesumweltministerin für die Reaktorsicherheit zuständig gewesen und damals eine entschiedene Befürworterin der Kernkraft.
„Diese Vereinbarung geht zulasten des Klimaschutzes, zulasten der Ausbildungskapazitäten und ganzer Berufszweige sowie zulasten des technologischen Fortschritts in der Bundesrepublik Deutschland“, warf sie dem Kanzler und dessen grünem Umweltminister Jürgen Trittin vor.
„Für mich bleibt ein Rätsel, wie nach dem Ausstieg aus der Kernenergie ein klimaverträglicher, CO2-freier Ersatz für den 30-prozentigen Anteil der Kernenergie an der Grundlast unserer Energieerzeugung geschaffen werden könnte.“ Als promovierte Physikerin hat Merkel wohl früh begriffen, dass wetterabhängige Stromerzeugung keine verlässlichen Kraft werke ersetzen kann.
Sie warnte davor, „dass aus unserem Land alle energieintensiven Branchen flüchten, weil sie keine sicheren Investitionsbedingungen vorfinden“, und kündigte an, „bei einem Regierungswechsel 2002 diese Vereinbarung rückgängig [zu] machen und der Kernenergie in Deutschland wieder eine Perspektive [zu] geben.“ Daniel Gräber
“Akte Atomausstieg: Das Ende der Kernkraft und das Scheitern der Energiewende”, Herder-Verlag, das Buch ist hier bestellbar.
In meinem Buch über den Klimastreit erzähle ich, wie das Thema Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft geriet und dabei unter die Räder kam; hier bestellbar.