Das Lanz-Lamento
Journalisten kritisieren ZDF-Moderator wegen Klima-Sendung, aber lassen Aktivistin gröbste Fehler durchgehen
Diese Woche erregte ein Streit in der ZDF-Sendung “Markus Lanz” zwischen dem Moderator und einer Klimaaktivistin viele Journalisten.
Der Streit zeigt exemplarisch: Klimaaktivisten können mit Applaus rechnen, unabhängig davon, ob zutrifft, was gesagt wurde. Wagt es aber ein Moderator, den Katastrophismus infrage zu stellen, steht er am Pranger.
In dem folgenden Ausschnitt, gepostet von dem Journalisten Wolfgang Blau, machen Carla Rochel, Sprecherin der Gruppe “Letzte Generation”, und Grünen-Politiker Jürgen Trittin fünf Aussagen.
Sie verraten einiges über den Klimadiskurs.
Aussage von Carla Rochel: “Wir sind auf dem Weg zwischen 2,5 und 4 Grad, sagen Wissenschaftler”
Das UN-Klimasekretariat UNFCCC sieht auf Basis der aktuellsten Daten eine Erwärmung von 2,1 bis 2,9 Grad:
"Without implementation of any conditional elements of NDCs, the best estimate of temperature change is 2.5–2.9 °C warming. Assuming full implementation of NDCs, including all conditional elements, the best estimate for peak global mean temperature is 2.1–2.4 °C"
Eine Erwärmung von 4 Grad kann aufgrund von Unsicherheiten nicht ausgeschlossen werden, die Wahrscheinlichkeit liegt laut UNFCCC aber unter 5 Prozent.
Aussage von Carla Rochel: “Bei 4 Grad versinkt die Welt in Bürgerkriegen.”
Klima ist bei sozialen Konflikten ein Risikofaktor, aber auch dort ein untergeordneter. Wie sich gesellschaftliche Konflikte verändern, entscheidet untergeordnet das Klima. Ein internationales Forscherteam schrieb unlängst in “Nature”:
„Climate as a risk factor for armed conflict: However, other drivers, such as low socioeconomic development and low capabilities of the state, are judged to be substantially more influential, and the mechanisms of climate-conflict linkages remain a key uncertainty.”
Friedensforscher waren zuvor zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen:
“Demographic and environmental variables have a very moderate effect on the risk of civil conflict.”
Andere Klimaforscher stellen in ihrer Studie in Frage, ob Erwärmung überhaupt zu mehr kriegerischen Konflikten führt:
“We find that conflict was more intense during colder periods. This relationship is weakening over time, and is not robust to the details of the climate reconstruction or to the sample period. We thus confirm Zhang et al. (2006, Climatic Change, 76, 459-477) that, at least in temperate climates, global warming would, if anything, lead to reduced violent conflict.”
Der UN-Klimarat sieht keine Evidenz für Klimakriege:
„There is insufficient evidence at present to attribute armed conflict to humaninduced climate change.“
Aussage von Carla Rochel: “Selbst Wissenschaftler protestieren gegen den Klimawandel nun auf der Straße.”
Für politische Abwägungen haben Wissenschaftler keine besondere Autorität in der Demokratie. Wissenschaftliche Fakten liefern keine politischen Handlungsanweisungen.
Der Wissenschaftssoziologe Alexander Bogner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erläutert im Interview mit dem “Standard”:
Die Wissenschaft kann vieles, aber sie kann letztlich der Politik nicht die Entscheidung abnehmen. Eine Politik, die sich der Macht des Wissens oder der Herrschaft der Algorithmen unterwirft, macht sich überflüssig. Oder anders gesagt: Im Zuge einer Politik, die sich über Wissen und Wahrheit legitimiert, würde die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nur als Ballast erscheinen. Das wäre das Ende einer Demokratie, wie wir sie kennen.
Aussage von Jürgen Trittin: “Anpassung an den Klimawandel ist verbunden mit tausendfachem Tod.”
Anpassung an Wetterrisiken bewirkt die drastische Verringerung von Opferzahlen, wie vergangene Jahrzehnte spektakulär bewiesen haben. Obwohl sich die Weltbevölkerung vervierfacht hat, gibt es bei Naturkatastrophen nur noch ein Bruchteil an Todesopfern, trotz fortgeschrittener Erwärmung:
Opfer aufgrund von Extremwetter können verhindert werden: “Hitzetote zeigen nur die Kälte einer Gesellschaft”, sie wären vermeidbar., sagte mir unlängst sogar einer der nachdrücklichsten Warner vor dem Klimawandel, der ehemalige Direktor des Weltklimaforschungsprogramms, Hartmut Graßl.
Technologischer Fortschritt mindert die Anfälligkeit gegenüber Wetterextremen, etwa der Bau von Deichen, Drainagen und Frühwarnsystemen. Solche Vorkehrungen zeigten immensen Effekt, bilanziert eine Studie im Fachmagazin „Global Environmental Change“:
Mit Ausnahme von Hitzewellen hatten sämtliche Arten von Wetterkatastrophen weniger Wirkung als früher. Ob Stürme, Fluten aller Art, Kälte oder Dürre – die Zahl der Toten im Verhältnis zur Bevölkerung, die von Wetterextremen betroffen waren, ging zurück. Trotz globaler Erwärmung.
Je wohlhabender ein Land werde, desto weniger anfällig werde es für Auswirkungen des Wetters. In den vergangenen 30 Jahren macht sich besonders in armen Ländern bemerkbar, dass Maßnahmen zum Schutz vor Wetterkatastrophen ergriffen wurden.
Aussage von Carla Rochel: “Wir können uns nicht so schnell anpassen.”
Die Aussage lässt sich wie viele Prognosen nicht verifizieren, das macht sie so effektiv.
Klar ist: Die Klimaforschung hat gezeigt, dass die Erwärmung wegen menschengemachter Abgase weitergehen und erhebliche Risiken mit sich bringen wird. Folglich wäre es wichtig, den CO2-Ausstoß deutlich einzudämmen.
Doch der Zielkonflikt mit dem Grundbedürfnis nach günstiger Energie erschwert das Bestreben.
Was Rochel von der “Letzten Generation” (Motto: “Essen retten”) ignorieren: Die Welternährungsorganisation FAO erwartet erhebliche Erntezuwächse trotz Klimawandel; die globale Erwärmung spiele eine untergeordnete Rolle bei der Welternährung.
In den Zukunftsszenarien der FAO bremsen negative Effekte des Klimawandels den prognostizierten deutlichen Zuwachs an Ernteerträgen bis 2050 allenfalls, der Trend zeigt trotz globaler Erwärmung weltweit deutlich nach oben. Arme Regionen in Afrika erwartet der FAO zufolge gar ein Ernteplus von bis zu 90 Prozent schon bis Mitte des Jahrhunderts.
„Wir fanden keinen Hinweis darauf, dass Projektionen mit Klimawandel statistisch abweichen von Projektionen ohne Klimawandel“, resümierte jüngst eine Übersichtsstudie in „Nature“, die das Wissen über die Zukunft der Ernährung bis 2050 zusammenfasste. „Fast alle Projektionen zeigen eine Abnahme von Unterernährung“, bilanziert das Forscherteam.
Die vergangenen Jahrzehnte geben Anlass zur Hoffnung. Trotz rasantem Bevölkerungswachstum und Klimawandel stehen heutzutage pro Person ein Drittel mehr Kalorien zur Verfügung als vor 60 Jahren. Mittlerweile entfallen in den ärmsten Ländern auf jeden Einwohner so viele Kalorien wie in den reichsten Staaten in den 1960ern.
Hungersnöte haben im Gegensatz zu früher nur noch politische Ursachen, es gibt mehr als genügend Nahrung für alle, selbst in Wüstenstaaten – korrupte Regime verhindern mancherorts die Versorgung.
Nie hungerten weniger Menschen als im vergangenen Jahrzehnt. Noch immer entkommen täglich rund Hunderttausend Menschen extremer Armut. Die Lebenserwartung weltweit hat sich in hundert Jahren verdoppelt.
Um mehr als 300 Prozent konnte die Weizenernte seit den Sechzigerjahren gesteigert werden. Der Klimawandel könnte die Weizenernte um sechs Prozent mindern pro Grad Erwärmung, haben Forscher berechnet. Aber die Verfügbarkeit von Dünger, Traktoren und Bewässerung habe weitaus größeren Einfluss, bilanziert die FAO.
Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte bis aktuell 1,2 Grad Erwärmung ist eine Erfolgsgeschichte - wegen der Anpassungsleistung des Menschen (das ist dennoch nicht gleichbedeutend mit Entwarnung für die Zukunft):
Aussage von Carla Rochel: “Milliarden Tote in Palau wegen Klimawandel.”
Dass diese Aussage nicht stimmt, erklärt sich von selbst. Sie zeigt aber, wie leichtfertig beim Klimawandel mit abwegiger Apokalypse argumentiert wird.
Die Machtfrage
Die Frage nach der Anpassung als Kernfrage der Klimadebatte ist stark machtpolitisch geprägt (werde dazu mal ausführlich schreiben).
Fokus auf Anpassung würde für UN, Regierungen, Umweltverbände und Klimaforscher eine Schwächung ihres Einfluss bedeuten, während die Konzentration auf CO2-Minderung sie stärkt: Anstrengungen zur CO2-Minderung erlauben Eingriffe und Regulierungen in sämtliche Lebensbereiche. Sie sind Domäne der Naturwissenschaft und Energieforschung.
Anpassung hingegen ist Sache von Lokalpolitikern und Ingenieuren, das Thema bietet wenig gesellschaftliches Regulierungspotential.
Selbst der UN-Klimarat diskutiert Anpassungsmöglichkeiten an Wettergefahren im Wesentlichen als Kostenfaktor, während er bei der angestrebten CO2-Minderung vorwiegend den Nutzen im Auge hat.
Artikel 2 legt das „Ziel der Klimarahmenkonvention“ der UN von 1992 fest, auf das der IPCC angesetzt worden war: „Die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird.“
Rufe nach Anpassung werden traditionell aggressiv abgekanzelt, häufig in eine Reihe mit Klimaleugnung gestellt - angeblich aus Sorge, CO2-Minderung könnte in den Hintergrund geraten.
“Als ich in einem Interview 2003 auf die Vernachlässigung der Anpassung in der Aufmerksamkeitsökonomie hinwies, wurde mir von interessierter Seite unterstellt, ich fordere Anpassung statt Vermeidung, obwohl es hätte klar sein sollen, dass beide Zugänge parallel genutzt werden müssen”, erzählt der Klimaforscher Hans von Storch.
Die Attacken kommen meist von Leuten, deren Einfluss auf der Betonung der CO2-Minderungspolitik beruht.
Als „eine Art Faulheit“ bezeichnete der amerikanische Klimaschutz-Vorkämpfer und Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Al Gore, vor 30 Jahren den Einsatz für Anpassungsmaßnahmen. Klimaschutz war sein wichtigstes politisches Thema, und er setzte den Ton.
Das Wort Anpassung gehöre zur Strategie der Verzögerung von Maßnahmen zur Einschränkung des CO2-Ausstoßes, schrieb der einflussreiche Klimatologe Michael Mann gerade.
„Wir können uns nicht anpassen, die Veränderungen sind zu groß“, behauptet die ebenfalls bekannte Klimatologin Katharine Hayhoe, eine der nachdrücklichsten Mahnerinnen.
Die “Letzte Generation” von Carla Rochel ist Teil des politischen Machtkampfs. Sie wird mit Millionenbeträgen unterstützt von reichen Philanthropen.
Die Repräsentation von Bewegungen durch junge Frauen hat eine lange Geschichte, der berühmte Wissenschaftler Nassim Taleb bezeichnet die Strategie als “Pedophrasty”:
"Argument involving children to prop up a rationalization and make the opponent look like an asshole, as people are defenseless and suspend all skepticism in front of suffering children: nobody has the heart to question the authenticity or source of the reporting. Often done with the aid of pictures.”
Weitere Kritik an Lanz
Neben Wolfgang Blau (siehe oben) warfen zahlreiche reichweitenstarke Twitter-Autoren Lanz vor, den “wissenschaftlichen Konsens” (zu dem Thema hier mehr) zu leugnen, sie bekamen viel Zustimmung, hier zwei Beispiele:
ZDF-Wettermoderator Özden Terli, der den Wetterbericht zu einer Klima-Horrorshow mit übertrieben Behauptungen gemacht hat, griff seinen ZDF-Kollegen scharf an:
Resümee
Der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart von der Universität Bielefeld, der schon die Klimadebatte der 1990er erforschte, beschrieb die Abläufe der Klimadebatte bereits vor 20 Jahren, seine Analysen haben Bestand.
Überbietungsdiskurs:
„Im Kampf um Aufmerksamkeit versuchen alle Akteure, die Kontrolle zu gewinnen, aber keine kontrolliert das Spiel – das Resultat sind Überbietungsdiskurse.”
Anpassung wird ausgeschlossen:
„Die politische Option, das Risiko des Klimawandels einzugehen, um dann die möglichen negativen Folgen abzufedern oder mit Kompensationszahlungen darauf zu reagieren, wird diskursiv ausgeschlossen.“
Katastrophismus:
„Die Medien konzentrieren sich auf die Entfaltung katastrophischer Szenarien, wobei sie auf die unterstellte Gewissheit wissenschaftlicher Expertise zurückgreifen.“
Medien unreflektiert:
„Die Medien kommentieren die Lage so, als wären sie nicht an der Dramatisierung beteiligt.“
Nach 35 Jahren Klimadebatte hat sich der Diskurs noch gefährlich zugespitzt, weil der Zielkonflikt mit der Energieversorgung eskaliert und Anpassung an den Klimawandel erforderlich ist, das Thema aber torpediert wird.
“Ich nerve Sie gerade?”, fragte Markus Lanz die Aktivistin Rochel, nachdem er gemutmaßt hatte, Anpassung könnte die Lösung sein. Er setzte den richtigen Punkt, wenn es darum gehen soll, dem Klimawandel auf humane Weise zu begegnen: Ohne Energieverknappung, aber mit besseren Schutzmaßnahmen. Axel Bojanowski