In den vergangenen Wochen nahm ich an drei Podiumsdiskussionen teil. Einmal sollte es um “Follow the Science” gehen, einmal um “Modelle”, einmal um “Fortschritt”. Aber es kam anders.
Interessanterweise ging es bei keiner der Debatten um die angekündigten Themen, nicht mal ein bisschen, sondern jedesmal ums “Klima”: Man begab sich in komfortable Schützengräben, wiederholte die erprobten Schlachtrufe und freute sich über den ersehnten Applaus.
Schade, eigentlich.
Am meisten Applaus erhielten Wissenschaftler mit eindeutigen Botschaften und klarem Gut-Böse-Schema. Das Prinzip gilt auch für Medien: Eindeutigkeit, am besten verknüpft mit politischen Handlungsempfehlungen, bringt mediale Aufmerksamkeit.
Der Kommunikationsforscher Phil Tetlock nennt die Kommunikatoren wissenschaftlicher Eindeutigkeit “Igel”. Der “Fuchs” ist ihm zufolge der zweite Archetypus der Wissenschaftskommunikation.
Seine Metapher geht auf den griechischen Dichter Archilochos zurück, der schrieb: „Der Igel weiß eine große Sache, der Fuchs viele kleine.“ Tetlock überträgt dieses Bild auf Denk- und Kommunikationsstile von Experten.
Der “Igel”: Vertreter der großen Idee
Der Igel ist Kommunikator mit klarem, kohärenten Weltbild. Er hat ein bevorzugtes theoretisches Modell oder eine „große Idee“, durch deren Linse er die Welt interpretiert.
Er neigt dazu, komplexe Phänomene auf eine zentrale Ursache oder ein dominierendes Prinzip zurückzuführen, deterministisch, oft apodiktisch. In der Kommunikation ist der Igel häufig leidenschaftlich, überzeugend und rhetorisch wirkungsvoll.
Er präsentiert klare Botschaften, die leicht verständlich sind und in den Medien oft viel Aufmerksamkeit bekommen.
Ich zum Beispiel übe mich gerade als “Igel”.
In meinem neuen Buch “33 erstaunliche Lichtblicke, die zeigen, warum die Welt viel besser ist, als wir denken” argumentiere ich, dass die Welt – trotz aller Krisen und Probleme – in vielerlei Hinsicht besser geworden ist, gestützt auf Daten zu Gesundheit, Bildung, Wirtschaft, Alltag und vielem mehr.
Meine klare Botschaft: Aufklärung, Wissenschaft und Freiheit sind der Weg zu einer besseren Welt. Kritik an dieser Sichtweise begegne ich mit dem Verweis auf langfristige Trends - wenn auch stets mit kritischer Einordnung.
Es ist mir ein Anliegen, in Zeiten grassierender Umweltapokalyptik die weithin ignorierte Kraft des Fortschritts anhand bedeutender Beispiele zu verdeutlichen.
Die Stärke des Igels liegt in der Fähigkeit, Orientierung zu geben. In einer Welt voller Unsicherheiten liefert er einfache, konsistente Erklärungen – das ist besonders in Krisenzeiten attraktiv.
Doch hier liegt auch das Risiko: Der Igel läuft Gefahr, Informationen zu ignorieren, die nicht in sein Schema passen. Er kann dogmatisch wirken und neigt zu Überzeugung statt zu kritischer Reflexion.
In Prognosevergleichen, wie sie Tetlock durchgeführt hat, schneiden Igel daher schlechter ab als Füchse.
Beim Thema Klimawandel hingegen übe ich mich als “Fuchs”.
Der “Fuchs”: Vorsichtiger Pragmatiker
Der “Fuchs” ist skeptischer, vorsichtiger und flexibler. Er verfügt nicht über ein großes Erklärungsmodell, sondern bedient sich vieler Perspektiven. Der “Fuchs” glaubt nicht an einfache Antworten, sondern ist sich der Komplexität von Zusammenhängen bewusst.
In der Kommunikation ist der Fuchs differenzierter, oft auch vorsichtiger und weniger spektakulär. Er stellt Fragen, betont Unsicherheiten und wägt verschiedene Sichtweisen ab.
Ein Beispiel für einen „Fuchs“ ist der Klimawissenschaftler Hans von Storch, einer der angesehensten Vertreter seines Fachs, der im Team des Physik-Nobelpreisträgers Klaus Hasselmann das Menschensignal im Klima entdeckt und Standardwerke über Klimamodellierung verfasst hat.
In der öffentlichen Debatte um den Klimawandel war von Storch immer bemüht, differenziert zu kommunizieren.
Er betonte einerseits die Evidenz für den menschengemachten Klimawandel, wies aber andererseits auch auf Unsicherheiten in Klimamodellen hin und warnte vor Alarmismus.
Damit geriet er zwischen die Fronten: Von Aktivisten wurde er manchmal als zu zögerlich wahrgenommen, von Skeptikern als Vertreter des “wissenschaftlichen Konsenses” geschmäht.
Füchse sind offen für neue Erkenntnisse, sie ändern ihre Meinung eher und sind in der Lage, verschiedene Perspektiven zu integrieren. In Tetlocks Studien zeigten sie eine höhere Prognosegenauigkeit – besonders in komplexen politischen oder wirtschaftlichen Fragen.
Doch in der öffentlichen Kommunikation haben Füchse es oft schwerer.
Ihre vorsichtige Sprache wirkt weniger überzeugend, ist politisch weniger anschlussfähig, und ihre Botschaften sind komplexer, sie lassen sich schwerlich in pointierte Schlagzeilen verwandeln. Gerade in der Medienlogik, die nach Klarheit, Spannung und Zuspitzung verlangt, hat der Fuchs es schwer.
“Füchse” vs. “Igel”: Wer soll Wissenschaft vermitteln?
Tetlocks Unterscheidung ist keine moralische Bewertung, sondern eine analytische Typologie. Beide Stile haben ihren Platz in der Wissenschaftskommunikation – und beide bergen Chancen und Risiken.
In bestimmten Situationen, etwa bei heraufziehendem Unwetter ist ein igelartiger Kommunikationsstil sinnvoll, um klare Handlungsorientierung zu bieten.
In anderen Kontexten, etwa in der Diskussion über langfristige Klimapolitik oder ethische Fragen der KI, scheint mir der fuchshafte Stil angemessener, um die Komplexität der Lage gerecht abzubilden.
Interessant ist auch die Frage, wie Medien, Politik und Öffentlichkeit auf diese beiden Kommunikationsstile reagieren: Igel werden bevorzugt – sie sind gute Talkshow-Gäste, liefern eingängige Zitate und klare Narrative.
Füchse hingegen wirken zögerlich, dabei ist ihre Vorsicht Ausdruck wissenschaftlicher Redlichkeit.
Die Bevorzugung der Igel kann zu einer strukturellen Verzerrung in der öffentlichen Debatte führen: Ein Übergewicht an simplifizierenden Botschaften auf Kosten differenzierter Einsichten.
Plädoyer für mehr “Fuchs” im Diskurs
In einer Zeit multipler Krisen ist es wichtiger denn je, wie wir über Wissenschaft sprechen. Wir brauchen Kommunikatoren, die komplexe Zusammenhänge verständlich machen, ohne sie allzu sehr zu simplifizieren.
Die Unsicherheiten offenlegen, ohne in Relativismus zu verfallen. Die zuhören, reflektieren und bereit sind, ihre Meinung auf Basis neuer Erkenntnisse zu ändern. Kurz: Wir brauchen mehr “Füchse”.
Das bedeutet nicht, dass “Igel” keinen Platz hätten. Ihre Fähigkeit, Orientierung zu bieten und öffentliche Debatten anzustoßen, kann ebenfalls wertvoll sein. Doch der Diskurs profitiert von einem Gleichgewicht – einem Zusammenspiel der Klarheit des “Igels” mit der Differenzierung des “Fuchses”.
Wissenschaftskommunikation ist keine Einbahnstraße, sondern ein Gespräch. Und in diesem Gespräch sollten wir lernen, die Stärken beider zu nutzen, von “Igel” und “Fuchs”. Axel Bojanowski
Dazu vielleicht interessant: Mit Alexander Schatten habe ich gerade auf seinem sehr empfehlenswerten Wissenschaftspodcast “Zukunft Denken” über die Abgründe der Wissenschaftskommunikation gesprochen, hier kann man das Gespräch hören.
(Bestes Zitat in unserem Gespräch kam von Herrn Schatten: "Wissenschaft ist der einzige Begriff, dessen Bedeutung sich ins Gegenteil verkehrt, wenn man den bestimmten Artikel davor stellt.")
In meinem Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ erzähle in 53 Geschichten von der Klimaforschung zwischen Lobbyinteressen und Wissenschaft: