Der Wetterbericht des ZDF mit Moderator Özden Terli ist ein Phänomen. Während die Wettervorhersage mit mittlerweile hoher Verlässlichkeit das gut erforschte Wetter vorhersagt, sagt die Wettervorhersage im ZDF mit mittlerweile hoher Verlässlichkeit ungenügend erforschte Apokalypsen vorher.
Und die globale Erwärmung sieht im ZDF so aus:
Die Temperatur der Gegenwart ragt demnach weit hinaus aus dem Verlauf des Holozän. Das war eine gewagte Interpretation im Widerspruch zu zahlreichen Veröffentlichungen.
Ich hatte vier Paläoklimatologen befragt zu der Grafik, sie alle übten deutliche Kritik:
Einen Monat vor jener ZDF-Sendung war in “Nature” eine Rekonstruktion der globalen Durchschnittstemperatur im Holozän erschienen. Sie unterschied sich deutlich von der ZDF-Grafik.
Der menschengemachte Anstieg der Temperatur in der Gegenwart ragte nicht so hervor wie im ZDF. Vor gut 6000 Jahren könnte es demnach ähnlich warm gewesen sein:
In der Studie hieß es:
Wie verlässlich sind die Daten der Vergangenheit?
Der Paläontologe Ulf Büntgen von der University of Cambridge erläuterte mir die Verlässlichkeit der Daten kürzlich im Interview: „Für die letzten 2000 Jahre können wir Klimarekonstruktionen noch für die politische Debatte nutzen. Davor wissen wir aber leider zu wenig, und die Unsicherheiten werden so groß, dass sinnvolle Interpretationen kaum möglich sind.“
Über Kurven, die weiter zurückgehen als 2000 Jahre (wie jene im ZDF) sagte Büntgen: “Man darf nicht sagen, dass sie den vergangenen Temperaturverlauf zeigen, sondern eben nur das, was wir über den vergangenen Temperaturverlauf wissen. Und da müssen wir auf die bestehenden Wissenslücken aufmerksam machen."
Zum Vergleich: So stellt einer der in den Massenmedien am meisten zitierten deutschen Klimaforscher den Temperaturverlauf des Holozäns dar (er lieferte die Grafikvorlage fürs ZDF):
Der aktuelle UN-Klimareport hingegen stellt fest:
"It is therefore more likely than not that no multi-centennial interval during the post-glacial period was warmer globally than the most recent decade (which was 1.1°C warmer than 1850–1900).”
More likely than not = little better than flipping a coin.
Disclaimer: Die Debatte um den Temperaturverlauf im Holozän negiert weder den anthropogenen Klimawandel, noch die zunehmende globale Erwärmung, wiewohl Kenntnislücken über die natürliche Variabilität Klimaprognosen erschweren.
In den vergangenen 2000 Jahre schwankte das Klima um 1 bis 2 Grad. Das verdeutlicht, wie besonders eine menschengemachte Erwärmung von 2 bis 3 Grad wäre, auf die wir aktuellen Szenarien zufolge zulaufen (gut 1 Grad ist schon erreicht).
Neue Publikation
Vor ein paar Tagen erschien in “Nature” ein interessantes Review zum Thema Klimavariabilität. Der dort angegebene Temperaturverlauf des Holozän sieht ähnlich aus wie bei Kaufmann et al. von 2020 (siehe oben).
Naturarchive (Proxys aus Jahresringen, Korallen, Sedimenten etc.) zeigen demnach, dass die Durchschnittstemperatur der Erde vor etwa 6.000 Jahren im Vergleich zum Mittelwert des 19. Jahrhunderts um etwa 0,7°C wärmer war; der plausible Bereich der Schätzungen reiche von 0,3 ° bis 1,8 ° C (es könnte demnach sogar wärmer gewesen sein als heutzutage).
Das Klima hat sich dem “Nature”-Review von Darrell Kaufmann und Ellie Broadman zufolge bis zum Beginn der Industriellen Revolution allmählich abgekühlt - ein Widerspruch zu Klimamodellen, die im Allgemeinen einen leichten Erwärmungstrend nahelegen für jene Zeit.
Die neue Arbeit zeige Verbesserungsmöglichkeiten für Klimamodelle, meinen Kaufmann und Broadman: Ein Modell, das vor 6.000 Jahren erhöhte Vegetationsbedeckung beinhaltete, habe die globale Temperatur genauer simulieren können, welche Forscher in Proxy-Aufzeichnungen sehen.
Die bessere Einbeziehung solcher Rückkopplungen werde wichtig sein, um die Fähigkeit zur Vorhersage künftiger Veränderungen zu verbessern, schreiben Kaufmann und Broadman.
Ulf Büntgen aber weist darauf hin, dass der Unterschied zwischen Modellen und Proxys ihrer unterschiedlichen Genese zuzuschreiben sein könnte:
Während die Modelle für die vergangenen Jahrtausende vor allem mit orbitalem Forcing angetrieben werden, also mit den bekannten Veränderungen von Erdbahn und Sonnenstrahlung, spiegeln die Proxy-Daten der Naturarchive vor allem Sommertemperaturen aus höheren Breiten der Nordhalbkugel (wenn Jahresringe der Bäume wachsen).
Der ZDF-Wetterexperte aber hält sich mit solchen Debatten nicht auf, er kommentiert den Klimawandel mittlerweile so:
Auf Twitter schrieb er:
Vielleicht erklärt dieser Zugang zur Wissenschaft die originellen Klimakurven im ZDF-Wetterbericht. Axel Bojanowski