Die Klimadebatte wirft grundsätzliche Fragen darüber auf, wie wir leben wollen, und zieht deshalb die gleichen Frontstellungen nach sich wie andere Debatten: Technologie-Skeptiker gegen Technologie-Optimisten, Kollektivisten gegen Liberale, Egalitäre gegen Hierarchische, extrinsisch gegen intrinsisch Motivierte – allgemein jeden denkbaren Wertekonflikt.
Je nach persönlichem Temperament und Interesse lesen Teilnehmer die Wissenschaft anders und bevorzugen unterschiedliche Maßnahmen. Der Kampf gegen die globale Erwärmung bietet Trittbrettfahrern jeder Couleur Gelegenheit, ihre Ziele durchzusetzen. Das führt zu absurden Diskussionen.
Hier kommen zehn kurze Anekdoten, die ich erlebt habe, die solche Mechanismen andeuten:
1) Elitismus
Ihre Wirrheit macht TV-Talkshows so verlockend für Leute mit Mitmischbedürfnis: Was auch immer gesagt wird, bleibt bestehen, sofern es nur selbstbewusst genug vorgetragen wird. Als ich jüngst ausnahmsweise mal teilnahm und dafür sogar extra nach Österreich gereist war, erlebte ich ein interessantes Schauspiel.
Ein Mit-Diskutant war offenbar hungrig. Mit beiden Händen gleichzeitig oder auch kurz hintereinander Hand für Hand schaufelte er sich vor der Sendung Buffet in den Mund, das für uns bereitgehalten wurde.
Auch nach der Sendung, als wir „zum Wein“ zusammengesetzt wurden, redete er unentwegt aber schaffte es gleichzeitig, sich das auf unserem Tisch gebotene „Fingerfood“ einzufahren.
Ich staunte auch deswegen, weil seine Hauptbotschaft in der Sendung zwischen den Mahlzeiten lautete, dass „wir so nicht weitermachen können“: Klimaschutz ginge nur mit „Verzicht“ und mit „Gürtel enger schnallen“, so behauptete er wiederholt.
Eine gute Metapher für den Elitismus, in dem die Umweltbewegung wurzelt, fand ich.
2) Verleumdung
Das wichtigste Mittel, in der Klimadebatte bestehen zu können, ist die Diffamierung. Sachargumente führen in Differenzierung, die klare Positionierung und damit eigenes Fortkommen erschweren. Diffamierungen und Verleumdungen hingegen erlauben einen starken Auftritt, ohne überhaupt Sachargumente kennen zu müssen.
Vergangenes Jahr führte ich in einer Radiodebatte berühmte Arbeiten des Ökonomen William Nordhaus zum Klimawandel an, welche Kosten von Klimawandel und Klimaschutz ins Verhältnis setzen, für die Nordhaus 2018 den Ökonomie-Nobelpreis erhalten hatte. Ich lernte: Nicht mal Nordhaus ist gegen plumpe Diffamierung gefeit.
Der habe ja die Republikaner in den USA beraten, blaffte mein Mit-Diskutant in der Radiodebatte, ein „Nachhaltigkeitsforscher“. Er meinte damit die gewichtigen Argumente des Nobelpreisträgers vom Tisch wischen zu können, denn auf die ging er nicht ein.
Der einzige Nobelpreisträger für Klima-Ökonomie sei nicht reputabel, absurder kann Ausgrenzungsrhetorik kaum noch sein, dachte ich. Dass Nordhaus auch die Demokraten in den USA beraten hat, fiel mir leider erst nach der Sendung auf.
3) Katastrophismus
„Deine Artikel übers Klima“, kritisierte ein Kollege, „lesen sich manchmal wie Beschwichtigungen“. Er verwies auf aktuelle Schlagzeilen der Konkurrenz: „Fünfmal so viele Naturkatastrophen wie in den Siebzigerjahren“, titelte der „Spiegel“ – der Klimawandel verstärke Wetterkatastrophen. Ich versuchte dem Kollegen zu erklären, was dahintersteckt.
Diese und ähnliche Schlagzeilen in anderen Medien gehen auf Zahlen des Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) in Belgien zurück, das in seiner Emergency Events Database (EM-DAT) Daten über Naturkatastrophen sammelt. Die zugehörigen Grafiken zeigen einen deutlichen Anstieg – allerdings dokumentieren sie nicht die tatsächliche Häufigkeit derartiger Ereignisse, sondern lediglich ihre gemeldete Zahl.
Früher trafen nur spärlich Berichte ein. Für die gesamte Sowjetunion beispielsweise weist die Datenbank in den 60 Jahren von 1920 bis 1980 lediglich fünf Wetterkatastrophen aus, danach häufen sich die Meldungen. Allein von 1981 bis 1983 registrierte EM-DAT in drei Jahren sieben Desaster innerhalb der UdSSR.
Es wäre irreführend, den Aufwärtstrend bei Wetterkatastrophen und deren Auswirkungen im Wesentlichen durch den Klimawandel zu rechtfertigen, hieß es bereits 2007 im CRED-Report.
Erst seit der Jahrtausendwende seien die EM-Daten verlässlich, denn mittlerweile kommen selbst aus abgelegenen Regionen Belege in Form von Handyfotos. Seither zeigen die Grafiken jedoch einen leichten Rückgang der Häufigkeit von Wetterkatastrophen – was die Wissenschaftler in Belgien der Öffentlichkeit aber nur schwer vermitteln können.
„Auch heute noch zitieren uns Leute, die sagen, dass die EM-DAT-Datenbank zeigt, dass Katastrophen in alarmierender Weise zunehmen“, monierte CRED-Forscherin Debarati Guha-Sapir 2020. „Wir haben auf unseren Pressekonferenzen gesagt, dass es keinen Anstieg gegeben hat“, betonte sie. „Wir bekommen Hassmails, weil unsere Daten nicht zeigen, dass Katastrophen zunehmen“, erzählte Guha-Sapir. „Niemand will gute Nachrichten.“
Nach meinen Ausführungen fragte ich den Journalistenkollegen: „Du willst ebenfalls keine guten Nachrichten, oder?“. „Mmh“, stutzte er, „gute Schlagzeilen können gefährlich sein“.
4) Feigheit
Mit Verwunderung hatte ich dem Hurrikan-Forscher einen Medien-Artikel geschickt, in dem er zitiert wurde, der aber den Stand zum Thema höchst verzerrt darstellte.
Die Antwort des Experten überraschte mich: Er habe sich bereits beschwert bei der Zeitung. Ein Redakteur habe geantwortet: Man habe den korrekten Satz des Forschers über Hurrikane aus dem Text gestrichen, weil Leser denken könnten, er wäre falsch.
„Science doesn't care what you believe“, heißt es - aber Science-Journalismus kümmert es eben doch.
5) Dominanzstreben
Klimajournalisten sind in Deutschland selten Naturwissenschaftler, noch seltener stammen sie aus naturwissenschaftlichen Studiengängen mit klimatologischem Inhalt. Das war nicht immer so.
„Das Thema ist mir zu riskant geworden“, sagte mir ein Kollege, der trotz Expertise das Klimathema aufgegeben hat. Journalisten mit Klima-Expertise schreiben kaum noch übers Klima und wenn dann betont zurückhaltend, ohne Bruchstellen abzuklopfen.
Umso ironischer erlebte ich eine Podiumsdiskussion in München. Eine Mit-Diskutantin beschwerte sich auf der Bühne, dass auch ich an der Debatte teilnehmen durfte: Bojanowski vertrete “eine Minderheitsposition”, rief die Journalistin aufgeregt, die keinerlei Ausbildung in Naturwissenschaften hat und sich dem Klimathema gerade erst angenommen hatte, indem sie ganz offen (und recht erfolgreich) in Klimaaktivismus macht.
Auf die spätere Frage des Moderators, was denn besser werden müsste im Klimajournalismus, antwortete die Kollegin: Es müsste mehr Journalisten mit klimatologischer Vorbildung geben. Nicht nur ich stutzte, denn jene Vorbildung brachte ja ausgerechnet ich mit.
Nicht-Aktivisten verlassen nicht nur den Journalismus. Eine Kommunikationsforscherin, die jahrelang bedeutende Studien zur Klimadebatte erarbeitet hatte, erzählte mir neulich, dass sie nun andere Themen bevorzuge. Es sei „anstrengend“ im Klimadiskurs zu bestehen. Machtwillige nutzten eigennützig jede Chance für Diffamierungen. Anderes Umfeld wäre “freundlicher”.
Selbst Kommunikationsforscher also ziehen sich verschreckt zurück aus der von Dominanzstreben vergifteten Klimawandel-Kommunikation - wenn das keine Pointe ist.
6) Borniertheit
Eine Journalistin reagierte gereizt auf der Pressekonferenz einer Wissenschaftstagung in Wien. Eine Meteorologin hatte ihre Theorie zum Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch vorgestellt, derzufolge ein Wetterphänomen den Maler beeinflusst haben könnte.
Die Journalistin grollte: „So ganz sicher sind Sie sich ja nicht!“ Antwort der Meteorologin: „Wir sind Wissenschaftler, wir sind uns nie ganz sicher.“
Die Journalistin wurde deutlicher: „Warum müssen Sie noch mehr Unordnung in die Sache bringen?“ Antwort der Meteorologin: „Es ist unser Job, Dinge zu hinterfragen.“
Das Ergebnis: 2:0 für die Wissenschaftlerin.
7) Opportunismus
“Das ist aber nicht Konsens, das steht so nicht im IPCC-Bericht”, entgegnete die Mitarbeiterin eines “Klima-Service-Centers”, als eine Meteorologin den ihrer Meinung nach unterschätzten Einfluss dekadischer Klimaschwankungen ins Spiel gebracht hatte. Der Verweis auf den UN-Klimabericht ersetzte also mal wieder das physikalische Argument.
„Früher haben Klimatologie-Studenten die Dynamik des Klimasystems lernen müssen”, erläuterte mir neulich eine Professorin für Atmosphärenforschung, “heutzutage lernen sie, den IPCC-Bericht auszuwerten.“ Exegese, statt Verständnis.
Der Bedarf an Klima-Experten treibt die Ausbildungszahlen. Seit dem Pariser Klimaabkommen seien „mindestens 50.000 bis 100.000 hochbezahlte Positionen im akademischen Umfeld entstanden, die bezahlt werden für argumentative Beiträge zum Thema“, mutmaßt der Ökonom Franz Josef Rademacher.
Der Zuwachs hat die Klimadebatte grundlegend verändert - bis hinein in die Naturwissenschaften.
8) Ergebenheit
Ich: „Die deutsche Energiewende bräuchte eine viel kritischere öffentliche Debatte.“
Journalistenkollegin, aufgebracht: „Willst du die Energiewende verhindern, Axel!?“
Ich: „?“
9) Bescheidenheit
Ein junger Wissenschaftler wertete jahrelang systematisch Niederschläge aus, und er kam zu einem erstaunlichen Ergebnis. Ich sagte ihm, sein Resultat für einen Artikel zusammenfassen zu wollen, was ich auch tat (2016).
Er antwortete, es gebe doch noch so viele andere kompetente Wissenschaftler, die ich doch auch noch fragen könnte, er sei doch bei weitem nicht der einzige Forscher auf dem Gebiet, da gebe es bestimmt noch kluge Einschätzungen anderer Experten.
10) Neugierde
Auf einer Geoforschungskonferenz in Wien kam ich mit einer rumänischen Forscherin ins Gespräch, die von ihrer Messkampagne schwärmte. Mit Pyranometern hatte sie europaweit Globalstrahlung gemessen und ihre Ergebnisse auf einer Karte dargestellt.
Der Atlas zeigte wie sich die Sonnenstrahlung verändert hat, die auf die Erdoberfläche eintrifft. Ins Auge sprang ein knallroter Fleck über Bayern, Österreich, Nordostitalien und Tschechien, wo die Strahlung zugenommen hatte.
Unsere Unterhaltung mündete im typischen Interessensunterschied zwischen Forschung (Methode) und Medien (Ergebnis): Die Forscherin gab sich der Pyranometerschwärmerei hin, während ich den roten Fleck im Blick hatte.
Ihr Ergebnis würde sicher viele Leute interessieren, hakte ich nach, woraufhin sie erneut von den Pyranometern schwärmte. Die Fokussierung auf Messungen und Methode bildet Voraussetzung für gute Wissenschaft.
Manchen geht es eben doch vor allem um Wissenschaft. Axel Bojanowski
Mehr Geschichten aus der Klimaforschung in meinem neuen Buch: