Wer nur die großen Medien verfolgt, dürfte den Eindruck haben, die Klimaforschung wäre homogen.
Zwar herrscht breite Übereinstimmung darüber, dass eine zu erwartende globale Erwärmung Risiken mit sich bringt. Umfragen von Soziologen brachten gleichwohl erhebliche Unterschiede in den Ansichten der Klimaforscher hervor.
Das öffentliche Bild bestimmen Wissenschaftler mit dramatischen Botschaften. Sie haben es leicht, in die Medien zu gelangen.
Das belegen beispielsweise Auswertungen aus der Zeit 2016 bis 2019, die Sozialforscher kürzlich erhoben haben zum Zweck der Auswahl von Gesprächspartnern (persönliche Mitteilung der Wissenschaftler an mich).
Demnach ergab die Auswertung von deutschen Online-Nachrichtenmedien, dass sechs Forscher in den Artikeln dominierten.
Die meistzitierten Klimaforscher
Hier die Rangliste der meistzitierten Klimaforscher in Deutschland aus jenen ausgewerteten Nachrichtenquellen von 2016 bis 2019:
Mojib Latif (Uni Kiel) mit 70 Nennungen in der Stichprobe
Hans Joachim Schellnhuber (PIK) mit 55 Nennungen
Stefan Rahmstorf (PIK) mit 45 Nennungen
Petteri Taalas (Chef der UN-Wetterbehörde WMO) mit 44 Nennungen
Anders Levermann (PIK) mit 42 Nennungen
Ottmar Edenhofer (PIK) mit 39 Nennungen
Es fällt auf, dass niemand vom größten und renommiertesten deutschen Klimaforschungsinstitut dabei ist, dem Max-Planck-Institut für Meteorologie. Dafür ist das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) viermal vertreten, das für rührige Pressearbeit bekannt ist.
Alle Klimaforscher in der Rangliste sind für besonders nachdrückliche Warnungen vor dem Klimawandel bekannt und zudem dafür, Ihre Mahnungen mit politischen Botschaften zu verknüpfen (was ihr gutes Recht ist, aber einer genaueren Betrachtung lohnt).
Bereits 2005 hatte der Sozialforscher Hans Peter Peters beschrieben, dass Klimaforscher, die ihre Stellungnahmen mit politischen Botschaften verknüpfen, von Journalisten stärker wahrgenommen und eher zitiert werden.
Journalisten fragen am liebsten die gleichen Klimaforscher, schrieb Peters. Die allermeisten Experten bleiben der öffentlichen Debatte fern. Der Publizistikforscher Mike Schäfer hat dieses Phänomen empirisch für die Schweiz belegt.
Seinen Erhebungen zufolge sind es immer dieselben wenigen Wissenschaftler, die in den Massenmedien vorkommen. Die überwältigende Mehrheit der Professoren, rund 96 Prozent, erhielt so gut wie keine Medienaufmerksamkeit.
Spezielle Minderheit kommt in die Medien
Journalisten in Deutschland fragten am liebsten jene Minderheit von Klimaforschern mit hohem Vertrauen in die Klimamodelle, berichtete die Kommunikationsforscherin Senja Post 2019. Dabei ist das Vertrauen in die Modelle unter Klimawissenschaftlern nicht besonders ausgeprägt.
Eine Umfrage von Senja Post unter Klima-Professoren an deutschen Forschungsinstituten zeigte 2015, dass rund zwei Drittel der Befragten die Klimamodelle für “nicht ausreichend präzise” halten. Mehr als jeder Fünfte hielt es für “prinzipiell nicht erfüllbar”, dass die Modelle ausreichend präzise werden könnten.
Auch sonst offenbarte die Befragung, dass Klimaforscher mit Bescheidenheit auf ihre Ergebnisse blicken: Nahezu vier von fünf Umfragenteilnehmern gaben an, dass empirische Daten zum Klima "noch nicht ausreichend verfügbar sind”, damit das Klima berechenbar wäre.
Jeder zehnte der befragten Forscher indes hielt die Daten bereits für ausreichend präzise - und gerade jene Gruppe gab am häufigsten an, bei Journalisten Gehör zu finden.
In diesem Vortrag fasst Senja Post ihre Ergebnisse zusammen:
Der häufigste Satz zum Klimawandel unter Journalisten und Aktivisten dürfte sein, dass sich “97 Prozent der Klimaforscher einig” wären und sich deshalb Mediendebatten zum Thema verbieten würden, weil ansonsten die “False Balance”-Falle drohe.
Tatsächlich gibt es eine Studie, die eine Einigkeit von 97 Prozent unter Klimawissenschaftlern ergab zur Frage, ob der Mensch wesentlich verantwortlich ist für die globale Erwärmung. Doch die Arbeit, veröffentlicht 2013 von Betreibern der Aktivisten-Website “Skeptical Science”, gründet auf fragwürdiger Methodik (wie auch ähnlich konzipierte Auswertungen, die angeblich nahezu 100 Prozent Einigkeit zeigten).
Die unhaltbaren 97 Prozent
Dabei bräuchte es solche Studien nicht, es gibt weitaus bessere Belege für den menschengemachten Klimawandel: die Physik. Klaus Hasselmann vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hat vergangenes Jahr den Physik-Nobelpreis für seine Beweisführung bekommen, dass anthropogene Treibhausgase die Erwärmung steuern.
Umfragen unter Klimatologen ergaben ein differenzierteres Bild, als es meist dargestellt wird. Von 286 Teilnehmern einer Erhebung von 2013 lauteten die Antworten auf die Frage “How convinced are you that most of recent or near future climate change is, or will be, a result of anthropogenic causes?” wie folgt (7 bedeutet “very much”, 1 “not at all”):
Gut 80 Prozent der Klimaforscher ordneten sich also in die Kategorien 5, 6 und 7 ein, die deutlicher Überzeugung für den anthropogenen Klimawandel entsprachen. Die anderen hielten eher auch natürliche Ursachen für die globale Erwärmung wahrscheinlich. Ein klares Bild, aber weit weg von den 97 Prozent, die im gleichen Jahr veröffentlicht wurden.
Eine Umfrage der American Meteorological Society von 2016 ergab zur Frage der Ursachen der Erwärmung ein ähnliches Ergebnis:
29% think the change is largely or entirely due to human activity
38% think most of the change is caused by human activity
14% think the change is caused more or less equally by human activity and natural events
7% think the change is caused mostly by natural events
5% think the change is caused largely or entirely by natural events
6% say they don’t know
1% think climate change isn’t happening
Dass ein Klimawandel stattfindet, beweisen nicht Umfragen sondern Daten:
Auch über den ersten Teil des UN-Klimaberichts über die physikalischen Grundlagen zum Klimawandel herrscht in hohem Maße Einverständnis unter Klimaforschern (über Teil 2 und 3 des Berichts über mögliche Folgen und Maßnahmen weitaus weniger).
Es gibt aber auch scheinbar etablierte Daten, über die Klimaforscher in Wahrheit heftig streiten:
Meinungsunterschiede zum Stand der Wissenschaft bestimmen die Debatte unter Experten, ohne dass deshalb gleich die grundsätzliche Sorge vor Risiken der globalen Erwärmung in Frage stünde.
Medien aber behaupten häufig, dass Skeptiker überrepräsentiert wären in der Berichterstattung; vom “Versagen der Medien” ist sogar die Rede.
Unsicherheiten schaffen es kaum in die Medien
Dabei zeigen die Erhebungen von Senja Post, dass grundlegende Zweifel in deutschen Medien kaum gemeldet werden: “Stimmen, die den menschlichen Einfluss auf das Klima abstreiten, spielen in der Klimaberichterstattung quantitativ praktisch keine Rolle”, resümiert Senja Post.
Die Öffentlichkeit erfährt aber auch wenig über die Wissenslücken der Klimaforschung. Je größer die Unsicherheiten zu einer Aussage im UN-Klimareport waren, desto weniger Beachtung fanden sie in den Medien, berichtet eine Forschergruppe um Jörg Haßler von der Universität Mainz.
Eine verpasste Chance: Medien verprellten die Mehrheit der Leser mit Einseitigkeit, hat Senja Post ermittelt. Berichten, die Wissenslücken und Unsicherheiten darlegten, würde gewöhnlich höhere Glaubwürdigkeit zugesprochen. Axel Bojanowski