Warum wir so heftig übers Klima streiten
Nicht Fakten bestimmen die Debatte um die globale Erwärmung, sondern die soziale Stellung
Der Kommunikationsforscher Dan Kahan von der Yale Law School konfrontierte Teilnehmer seiner berühmten Experimente unter anderem mit zwei Experten-Aussagen zum Klimawandel, von denen sie eine als wahr und die andere als falsch bewerten mussten.
Aussage 1: Es gibt „einen wissenschaftlichen Konsens zur globalen Erwärmung“;
Aussage 2: Es ist „verfrüht und übertrieben zu behaupten, dass es einen wissenschaftlichen Konsens in dieser Frage gibt“.
Kahans Ergebnis fiel eindeutig aus: Die Probanden bewerteten die beiden Optionen gemäß ihrer politischen Einstellungen. Demokraten stuften den Experten mit der Konsens-Aussage als glaubwürdiger ein, Republikaner den Experten mit der gegenläufigen Meinung.
Eigene Erkenntnisse, so folgerte Kahan, beruhten weniger auf der Suche nach Wahrheit als auf dem, was er „Kultur“ nennt, also auf Überzeugungen. Die würden umso entschiedener verteidigt, je höher der Wissensstand ist: Je mehr wissenschaftliche Kenntnisse die Teilnehmer hatten, desto stärker gingen ihre Meinungen über die globale Erwärmung auseinander.
Intellektuelle Fähigkeit ermögliche es, Belege besser zugunsten der bevorzugten Schlussfolgerung zu interpretieren. Wirkt der Klimawandel auf Demokraten mit höheren wissenschaftlichen Kompetenzen zunehmend bedrohlicher, halten Republikaner die Erwärmung dagegen für weniger gefährlich, je besser sie darüber informiert sind.
Eine Ipsos-Umfrage bestätigte 2023 die Ergebnisse: Sowohl Republikaner als auch Demokraten stimmten bezüglich des Klimawandels eher mit jenen Aussagen des IPCC überein, die ihre Weltsicht stützen: Bei Fragen zur Realität der globalen Erwärmung waren die Demokraten auf Linie mit dem Klimarat, bei Fragen zu Trends und Effekten von Extremwetter gingen Republikaner eher mit dem Ausschuss konform.
Obwohl wissenschaftliche Informationen leichter verfügbar sind denn je zuvor, ziehen Menschen aus ihnen nicht dieselben Schlussfolgerungen – Kahan spricht vom „epistemischen Pluralismus“.
Die Begründung dafür liege zum einen in der „identitätsschützenden Kognition“, die bewirkt, dass Individuen tendenziell eher Überzeugungen von Gruppen übernehmen, mit denen sie sich identifizieren, und zum anderen in der „kulturellen Kognition“, die bewirkt, dass Individuen Überzeugungen vermeiden, die von der jeweiligen Bezugsgruppe missbilligt werden.
Die Ergebnisse seien nur dann überraschend, wenn man glaubt, der Mensch strebe nach Wahrheit, konstatiert Kahan. In Wirklichkeit verteidigen wir unsere Meinungen, um Gruppenzugehörigkeiten zu festigen.
Dieses Verhalten ist anthropologisch betrachtet vernünftig: Für ein Individuum war es evolutionär riskanter, mit einer korrekten Behauptung allein zu stehen und ausgeschlossen zu werden, als einer Gemeinschaft anzugehören, die sicheren Halt bietet, obwohl sie faktisch falsche Ansichten vertritt.
Von dem Phänomen profitieren Wissenschaftler, die nach öffentlicher Anerkennung streben: Forscher, die in den sozialen Medien einen „Wir-gegen-sie“-Habitus pflegen, heimsen dort die größte Gefolgschaft ein, ermittelten Kommunikationsforscher um Kaiping Chen von der University of Wisconsin 2023.
„Die Bildung von Koalitionen um wissenschaftliche Fragen herum ist katastrophal, weil sie unseren Drang nach wissenschaftlicher Wahrheitssuche gegen den fast unüberwindlichen menschlichen Appetit ausspielt, ein gutes Koalitionsmitglied zu sein“, schrieb der Begründer des Fachgebiets der Evolutionspsychologie, der kürzlich verstorbene John Tooby von der University of California in Santa Barbara.
„Sobald wissenschaftliche Thesen moralisch aufgeladen sind, verwundet dies den wissenschaftlichen Prozess, oft tödlich.“ Die Klimadebatte belohne ein Verhalten, die eigene Konfliktgruppe zu bestärken und andere möglichst scharf zu verurteilen, bestätigt der Klimadebatten-Foscher Mike Hulme von der University of Cambridge.
Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore 2022, der tief verankert ist in der Klimabewegung, sagte nach einem Amoklauf an einer texanischen Schule, bei dem die Polizisten nicht eingegriffen hatten: „Wissen Sie, die Klimaleugner ähneln in gewisser Weise den Beamten, die vor einer offenen Tür warteten, während drinnen Kinder massakriert wurden.“
Galt es früher als Zeichen von Höflichkeit, politische Diskussionen mit Fremden zu meiden und stattdessen übers Wetter zu reden, führen genau diese Gespräche mittlerweile zu unversöhnlichem Streit.
Wissenschaftskommunikation müsse „entpolitisiert werden, damit sie von den verschiedenen Teilen der amerikanischen Gesellschaft nicht mehr als eine Bedrohung angesehen wird“, fordert Kahan. Man sollte Forschungsergebnisse präsentieren können, ohne dass diese „die Identität einer kulturellen Gruppe öffentlich infrage stellen“. Axel Bojanowski
Dieser Text stammt aus meinem gerade erschienenen Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ über den Klimawandel zwischen Lobbyismus und Wissenschaft.
Aktueller Hinweis: Das Buch hat es in die “Spiegel”-Bestseller-Liste geschafft, auf Platz 12.
Weitere Hinweise:
Bei den “Ruhrbaronen” gab es eine freundliche Rezension meines Buches.
Im WELT-Videochat diskutierte ich mit Abonnenten über die Klimadebatte.
Im Deutschlandfunk habe ich mit dem Klimaaktivisten Tadzio Müller über die Klimabewegung gestritten.
Mit dem “Based”-Podcast sprach ich über mein Buch.
Mit Philipp Mattheis von “Bling Bling” sprach ich über mein Buch und über die Klimadebatte, hier lässt sich das Interview nachlesen.
Mit Daniel Gräber vom “Cicero” habe ich mich über die Klima- und Energiedebatte unterhalten, hier kann man das 48-minütige Gespräch anhören.