"Katastrophen nicht auf Klimawandel schieben"
Aufruf von Attributionsforschern widerspricht Aussagen von Politikern
(Foto: Bundesregierung)
Familienministerin Anne Spiegel (Foto) ist diese Woche zurückgetreten. Sie war für ihr Management der Flutkatastrophe in Westdeutschland 2021 in die Kritik geraten, auch weil sie kurz nach dem Extremwetter, also während der andauernden Katastrophe, in einen vierwöchigen Urlaub gefahren war.
Als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz gehörte Anne Spiegel zu jenen Vielen, welche die Flutkatastrophe vergangenes Jahr auf den Klimawandel geschoben hatten. So lässt sich nach Wetterkatastrophen am effektivsten von wahrer Verantwortung ablenken und auch anderweitig politisch profitieren. Dabei war die globale Erwärmung nicht der Punkt bei der Flutkatastrophe, sondern das desolate politische Management samt grob fahrlässiger Vorsorge.
Experten, welche den Anteil des Klimawandels an Wetterereignissen zu berechnen versuchen, haben gerade erklärt, dass Katastrophen nicht auf den Klimawandel geschoben werden sollten. Ein uneigennütziger Rat, denn die Attributionsforschung ist gefeiert worden für ihre Arbeit, den Zusammenhang von Klimawandel und einzelnen Extremwettern aufzuzeigen.
Das „Time“-Magazin ehrte eine Angehörige des Fachs, Friederike Otto (Foto), als eine der 100 bedeutendsten Persönlichkeiten des Jahres 2021, das Wissenschaftsmagazin „Nature“ zählte sie zu den „Top 10“ der Wissenschaftler.
(Foto: Imperical College London)
Zusammen mit zwei Kollegen hat Otto in einem Aufsatz im Wissenschaftsmagazin „Communications Earth & Environment“ nun gefordert: „Hört auf, das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen.“ Katastrophen entstünden, wenn Naturgefahren auf die Anfälligkeit einer Siedlung träfen: „Häufig bestimmt der soziale, politische und wirtschaftliche Status die Auswirkungen“, schreiben Otto und ihre Kollegen. Jene Faktoren müssten bekannt sein, um Katastrophen zu lindern.
„Die Natur oder das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen, lenkt die Verantwortung ab“, schreiben die Attributionsforscher. In der Folge drohten Mängel nicht diskutiert und nicht behoben zu werden.
Zwar kann auch die Attribution, also die Zuordnung eines Wetterereignisses zum Klimawandel, nie beweisen, ob ein Wetterereignis wegen des Klimawandels eingetreten ist. Sie erlaubt lediglich Abschätzungen darüber, ob Wetterereignisse häufiger geworden sein könnten aufgrund der menschengemachten Erwärmung.
Ob aber zum Beispiel aus Regen Überschwemmungen werden, hängt wesentlich von anderen Faktoren ab als von der Regenmenge, beispielsweise von der Bodenbeschaffenheit, von der Topografie und vor allem: von Sicherheitsmaßnahmen.
Manche Wetterkatastrophen werden der Attributionsforschung zufolge wahrscheinlicher wegen der menschengemachten Erwärmung, ausgelöst beispielsweise durch Extremregenereignisse, die in einer wärmeren Atmosphäre tendenziell stärker ausfallen.
Ob aus Regen aber eine Katastrophe werde, hänge wesentlich davon ab, wie anfällig Siedlungen für Extremwetter seien, schreiben Otto und ihre Kollegen. Die Anfälligkeit wäre ein Problem, das mit politischen Mitteln vor Ort gelöst werden müsse.
Der Fokus auf den Klimawandel führe auch aus einem anderen Grund in die Irre, schreiben die Klimaforscher in „Nature“: Klimamodelle würden die Welt zu grob darstellen, um gezielt Risiken an einzelnen Siedlungen lindern zu können. Unterschiede von Ort zu Ort ließen sich mit Klimamodellen nicht ausreichend genau auflösen.
Ihre Attributionsstudien wären sinnvoll, um herauszufinden, in welchen Regionen der menschengemachte Klimawandel Wetterrisiken prinzipiell vergrößere. Dort wäre es wahrscheinlich, dass auch die Katastrophengefahr größer würde. Auch für die Kommunikation wären die Studien geeignet: Sie könnten der Bevölkerung verdeutlichen, dass die menschengemachte Erwärmung Auswirkungen habe.
Gleichzeitig gelte, schreiben Otto und ihre Kollegen, dass „wir aufhören müssen, die Natur oder das Klima für Katastrophen verantwortlich zu machen, und stattdessen die Anfälligkeit ins Zentrum stellen müssen“. Axel Bojanowski