Vergessener Masterplan für die Klimarettung
Das Hartwell-Paper - Anleitung für das 21. Jahrhundert
Vor genau 15 Jahren, im Mai 2010, legten Forscher das Hartwell-Paper vor - es wies den Weg zur Bremsung der globalen Erwärmung. Leider nahm die Klimapolitik einen anderen Weg.
Nach dem brachial gescheiterten UN-Klimagipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 trafen sich im folgenden Februar 14 Wissenschaftler für drei Tage im Hartwell House, einem Landhaus mit georgianischer Fassade und Rokoko-Interieur in der Gemeinde Hartwell in Buckinghamshire in Südengland, das bereits im 17. Jahrhundert von Adligen bewohnt wurde.
Ihre Analyse, das Hartwell-Papier, wies den Weg, wie Klimaschutzmaßnahmen umsetzbar sein könnten.
Die Autoren waren:
Isabel Galiana
Christopher Green
Reiner Grundmann
Mike Hulme
Atte Korhola
Frank Laird
Ted Nordhaus
Roger Pielke Jr.
Gwyn Prins
Steve Rayner
Daniel Sarewitz
Michael Shellenberger
Nico Stehr
Hiroyuki Tezuka
Ihr Vorschlag: Innovationen bei Energietechnologien sollten durch Anreize und nicht per Auferlegung von Kosten beschleunigt werden und mit niedriger, aber steigenden CO2-Steuer gestützt werden.
„Die einzige Möglichkeit für die Menschheit, sowohl den Klimawandel als auch die Armut zu bekämpfen, besteht darin, einen Weg zu sauberer Energie zu finden, die reichlich und billig ist, und dann genug Geld auszugeben, um sie schnell einzusetzen“, schrieben die Gelehrten
Doch die internationale Klimapolitik nahm den gegensätzlichen Weg: Sie blieb geprägt von Dirigismus, der im Detail Energieversorgung und Lebenswandel vorschreiben will.
Der Erfolg blieb aus, der globale CO2-Ausstoß ist ungebremst, in der Kurve findet sich kein Hinweis auf klimapolitische Maßnahmen:
Das Hartwell-Papier hätte die erfolgreiche Alternative sein können: Es wies den Weg zu einer pragmatischen, realpolitisch durchsetzbaren und langfristig erfolgreichen Klimapolitik.
Statt weiter auf eher unrealistische globale CO₂-Verträge zu setzen, sollte sich Klimapolitik neu erfinden – dezentral, problemorientiert, innovationsgetrieben.
Doch die große Resonanz blieb aus. Heute, 15 Jahre später, zeigt sich: Das Hartwell-Paper war die intelligentere Alternative zur vorherrschenden Klimapolitik.
Warum das Hartwell-Paper revolutionär war
Die Kernidee des Hartwell-Papers ist einfach und dennoch radikal: Statt CO₂-Reduktion als oberstes Ziel zu betrachten, sollte Klimapolitik konkrete, für Menschen greifbare Probleme lösen, etwa Luftverschmutzung, Energiesicherheit oder Armut.
Die CO₂-Minderung wäre dann “ein erwünschter Nebeneffekt”, nicht der zentrale Hebel, an dem alles hängt.
Zentrale Prinzipien des Hartwell-Papers:
1. Menschliche Entwicklung zuerst: Zugang zu Energie, Bildung und Gesundheit sind Voraussetzungen für jede nachhaltige Transformation. Klimapolitik darf nicht zur Belastung für die Schwächsten werden.
2. Innovation statt Verzicht: Der Schlüssel zur Emissionsminderung liegt nicht im Moralisieren oder Konsumverbot, sondern im Wettlauf um saubere, günstige und zuverlässige Energie.
3. Resilienz und Anpassung gleichwertig zu Vermeidung: Klimapolitik darf nicht nur auf Emissionsziele zielen. Gesellschaften müssen auch auf unvermeidbare Klimafolgen vorbereitet sein – durch Infrastruktur, Frühwarnsysteme, Katastrophenschutz.
Kernthesen
1. Kyoto ist gescheitert: Das Klimaabkommen der Vereinten Nationen mit seinen Top-Down-CO₂-Zielen war politisch, wirtschaftlich und praktisch nicht umsetzbar. Zu starke Fokussierung auf CO₂ als „politisches Problem“, anstatt auf breitere Ziele wie Energieinnovation oder Nachhaltigkeit. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 folgt dem gleichen Prinzip.
2. Klimaschutz ≠ Emissionsminderung allein: Der Klimawandel ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch eine Energie-, Entwicklungs- und Innovationsherausforderung. Fortschritt sollte nicht nur an CO₂-Zielen, sondern an realen Verbesserungen wie sauberer Energie, Luftqualität, Resilienz gemessen werden.
3. Energieinnovation in den Mittelpunkt stellen: Politik soll vor allem in Forschung und Entwicklung sauberer Energie investieren. Fokus auf Technologien, die billiger als fossile Brennstoffe und damit attraktiv werden können.
4. Robuste, widerstandsfähige Systeme aufbauen: Politik soll gesellschaftliche Resilienz gegen Klimarisiken (z. B. Extremwetter) verbessern – unabhängig davon, ob CO₂ reduziert wird.
5. Klimapolitik muss greifbare Vorteile bieten. Menschen sollen direkt vom Klimaschutz profitieren – z. B. durch bessere Luft, sichere Energieversorgung oder neue Jobs.
6. Drei übergeordnete Ziele: die Gewährleistung des Energiezugangs für alle; sicherzustellen, dass wir uns in einer Weise entwickeln, die das wesentliche Funktionieren des Erdsystems nicht untergräbt; sicherzustellen, dass unsere Gesellschaften angemessen ausgestattet sind, um den Risiken und Gefahren standzuhalten, die alle Umweltbedingungen ausstehen.
Empfohlene Strategie
Dezentrale, modulare Lösungsansätze auf regionaler, lokaler oder sektorieller Ebene würden die Akzeptanz und Effektivität von Klimaschutzmaßnahmen erhöhen. Lernen durch Handeln („learning by doing“) statt auf perfekte globale Verträge zu warten. Bottom-up statt Top-down.
“Climate policy must be re-founded on actions that have benefits beyond climate, that are politically attractive, and that build a base for future, more ambitious actions.”
Warum wurde das Hartwell-Paper ignoriert?
Trotz seiner klugen Analysen und pragmatischen Vorschläge fand das Hartwell-Paper kaum Eingang in die große klimapolitische Debatte. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Dogmatischer Fokus auf CO₂-Reduktion: Die internationale Klimapolitik hält stur an der Idee zentraler Emissionsziele fest - sie bieten Top-Down-Machtpotential. Alternative Pfade werden eigennützig als „Ablenkung“ oder „Verharmlosung“ abgetan.
Fehlende institutionelle Verankerung: Während das Kyoto-Modell (wie später das Paris-Abkommen) von mächtigen multilateralen Strukturen getragen wurde (UNFCCC), blieb das Hartwell-Paper ein akademischer Impuls – ohne politische Lobby, mediale Sympathien oder Durchsetzungsmechanismen.
Unbequeme Wahrheiten: Das Hartwell-Paper warf der bestehenden Klimapolitik indirekt Dysfunktionalität vor – und forderte einen Systemwechsel. Für viele Entscheidungsträger und mediale Vorkämpfer war das schwer zu akzeptieren.
Warum ist das Hartwell-Paper aktueller denn je?
Die klimapolitische Realität des Jahres 2025 bestätigt viele der damaligen Warnungen:
Emissionsziele werden verfehlt, nicht weil der Wille fehlt, sondern weil die Mittel unrealistisch und ineffektiv sind.
Innovationsgetriebene Länder wie China und Indien zeigen, dass klimafreundliche Energie dann am schnellsten wächst, wenn sie wirtschaftlich attraktiv ist – nicht wenn sie politisch verordnet wird.
Klimaanpassung rückt notgedrungen in den Vordergrund, da die Vermeidung allein das Problem nicht mehr löst.
Was das Hartwell-Paper voraussah, ist eingetreten: Klimapolitik muss umfassender, ehrlicher und pragmatischer werden.
Fazit: Eine vergessene Anleitung für das 21. Jahrhundert
Das Hartwell-Paper ist keine dogmatische Abrechnung, sondern ein pragmatisches Plädoyer für eine andere Art von Klimapolitik – eine, die eher funktioniert, weil sie auf Wirklichkeit statt Wunschdenken basiert.
Vielleicht wäre jetzt der Moment, das Hartwell-Paper wieder aus der Schublade zu holen.
Nicht als Rezeptbuch, sondern als Kompass, der daran erinnert: Erfolgreiche Klimapolitik beginnt dort, wo sie mit den Grundbedürfnissen zusammenkommt – nicht dort, wo sie Pflichten auferlegt, die kaum jemand erfüllen will. Axel Bojanowski
In meinem Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ erzähle in 53 Geschichten von der Klimaforschung zwischen Lobbyinteressen und Wissenschaft:
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