Der geniale Klimaforscher, den niemand kennt
Ernst Maier-Reimer schwieg - und revolutionierte in aller Stille die Klimamodelle
Wissenschaftler mit Untergangsvisionen werden berühmt. Der Insektenforscher Paul R. Ehrlich etwa, der die “Bevölkerungsbombe” postulierte, wurde weltbekannt (die Katastrophe blieb aus). Auch Dennis Meadows, der das Ende der Rohstoffe kommen sah, wird noch heute gefeiert (obwohl auch diese Katastrophe ausblieb). Die bekanntesten Klimaforscher sind ebenfalls jene mit katastrophistischer Rhetorik.
In der Wissenschaft werden die Medien-Stars nicht unbedingt bewundert. Dort gelangen andere zu Ansehen. Einer der am meisten geschätzten Klimaforscher wäre gerade 80 Jahre alt geworden: Ernst Maier-Reimer, gestorben 2013, war nicht nur ein wegweisender Forscher, auch seine eigensinnige Persönlichkeit wurde geschätzt.
Als der Klimaforscher-Pionier Wallace Broecker von der Columbia University aus den USA 1979 das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg besuchte, holte Maier-Reimer ihn vom Flughafen ab. Broecker - wegen seiner wegweisenden Studien „Pate der globalen Erwärmung“ genannt - war neugierig geworden auf das damals junge Klimainstitut in Deutschland, das wegen der hochfliegenden Pläne ihres Gründungsdirektors Klaus Hasselmanns von sich reden machte.
Stille im Auto
Broecker spazierte vom Gepäckband im Hamburger Flughafen durch den Ausgang, wo ihm ein Mann mit Vollbart, wuscheligem Haar und Norwegerpullover die Hand schüttelte - Hasselmanns Mitarbeiter Ernst Maier-Reimer wirkte wie ein Seebär, und seine Schweigsamkeit passte ins Bild: Er chauffierte den berühmten Kollegen aus den USA vom Hamburger Flughafen ans MPI, doch während der gesamten Fahrt sagte Maier-Reimer kein einziges Wort.
Der verwunderte Broecker erzählte sein Erlebnis Hasselmann, der wissend schmunzelte. Gleichwohl: Zwischen Maier-Reimer und Broecker entwickelte sich eine produktive, ja freundschaftliche Zusammenarbeit.
Ein Zwischenfall 1977 in einem Seminar im MPI hatte Hasselmann auf Maier-Reimer aufmerksam gemacht. Biologen erläuterten in einem Vortrag, dass Planktonblüten nicht von den Computer-Klimamodellen dargestellt werden konnten, die Prozesse wären zu kompliziert.
Winzige Doktorarbeit
Maier-Reimer sagte auch hier kein Wort während der Debatte. Doch als sich die Forschergruppe eine Woche später wieder traf, präsentierte er ein „beeindruckendes numerisches Modell“, das alles berücksichtigte, was die Biologen beschrieben hatten, erinnerte sich Hasselmann.
Der MPI-Direktor erkundigte sich sogleich nach der Vita des Modellierers. Er stutzte, als er fand, dass die Doktorarbeit Maier-Reimers vom Institut für Meereskunde in Hamburg lediglich 37 Seiten umfasste. Die wenigen Worte genügten: 1978 holte Hasselmann Maier-Reimer ans MPI.
Einmal platzte Hasselmann bei Maier-Reimer ins Büro, um anzuregen, die Rolle des Wetterphänomens El Niño, einer bedeutenden Klimaschwankung, näher zu untersuchen. Schweigend zog Maier-Reimer ein vollständiges Computerprogramm aus seiner Schreibtischschublade, das er für die Simulation von El Niño geschrieben hatte.
Wundersames Chaos
Mehr noch als über das Programm wunderte sich Hasselmann darüber, dass sein Kollege es zielsicher aus einem Wust aus Arbeiten, Büchern und Papieren klaubte. „Ernsts Gehirn war anders organisiert als bei weniger begabten Menschen“, wunderte sich Hasselmann. „Was bei anderen ein Chaos wäre, war bei Ernst ein hervorragend geordnetes System.“
Dreidimensionale Ozean-Klimamodelle sollte Maier-Reimer konstruieren. Hasselmann erhöhte den Druck: „Das zweitbeste Modell der Welt ist witzlos“, hatte der MPI-Direktor seinen Mitarbeiter angespornt. Das beste Klimamodell hatte die Princeton University in den USA, die seit Ende der Sechzigerjahre Klimamodelle baute.
Hasselmann instruierte seinen Angestellten, wie das Ozeanmodell programmiert werden sollte. „Sehr gut“ antwortete Maier-Reimer – und machte es ganz anders. „Aber es funktionierte“, erzählte Hasselmann.
Sumpf-Ozean
Obwohl die meisten Umwelteinflüsse wenig erforscht waren, es nicht mal grobe Formeln gab, um sie beschreiben zu können, waren Hasselmann und Maier-Reimer überzeugt, brauchbare Klimamodelle entwickeln zu können: Physikalische Grundgleichungen konnten Strömungen und Temperatur beschreiben und damit grob darstellen, was in der Atmosphäre und in den Ozeanen passierte.
„Und dann kann man mit halbwegs glaubwürdigen Ansätzen in diesen Gleichungen berechnen, wie das Ganze weitergeht in statistischen Mittelwerten der Temperatur, der Eisverteilung, der Ozeanströmungen und so“, glaubte Hasselmann. „Aber die Modelle vereinfachen natürlich, sie können das Geschehen nicht in Einzelheiten auflösen.“
Die Ozeane gingen zunächst als eine Art Sumpf in die Rechnungen ein – Strömungen ließen sich nicht darstellen. Und obwohl geschätzt 80 Prozent des klimawirksamen Kohlenstoffs vom Stoffwechsel von Nährstoffen und Pflanzen abhängen, ließ der sich nicht modellieren.
Der Goldstandard
Maier-Reimer gelang es immerhin, den wichtigsten Nährstoff, Phosphor, in sein Modell zu integrieren: Virtuelle Phosphor-Partikel rieselten von der Oberfläche auf den Grund des Ozeans, wo sie sich auflösten. Ein grober Abklatsch der Wirklichkeit, aber ein Anfang.
Sein Kollege Erich Roeckner kümmerte sich am MPI um die Modellierung der Atmosphäre. Vegetation, die das lokale Klimageschehen dominiert, fehlte allerdings komplett. Und Wolken kamen wie noch heute nur als geschätzter Durchschnittswert vor – Areale von der Größe Deutschlands hatten in den frühen Klimamodellen das gleiche Wetter.
Doch mit dem ersten gekoppelten Atmosphären-Ozean-Modell etablierte sich das Max-Planck-Institut für Meteorologie an der Weltspitze der Klimaforschung. Das „Hamburg-Modell“ galt bereits Anfang der Neunziger als Goldstandard der Klimaforschung.
Im Hintergrund
Als Maier-Reimer 2013 mit 69 Jahren an Krebs starb, ging ein stilles Genie der Klimaforschung. Politische Ausschüsse hatte er gemieden und sich nie um Posten geschert.
Und obwohl einer der produktivsten Klimaforscher setzte Maier-Reimer seinen Namen selten nach vorne in die Autorenzeilen von Studien, dabei sind es die „Erstautoren“, die Karriere machen.
Während Weggefährten zu Professoren und Institutsleiter aufstiegen, blieb der Einzelgänger Maier-Reimer als Leiter der Ozeanmodellierung einfacher Wissenschaftler unter Hasselmann am MPI. Er hätte wohl gemerkt, dass er auf diese Weise wissenschaftlich produktiver sein könnte als in prestigeträchtigeren Positionen, meinte Hasselmann.
Hasselmanns Gespür
Bis zuletzt konzentrierte sich Maier-Reimer auf die Verbesserung seiner Klimamodelle. Er ließ seine Ergebnisse für sich sprechen.
Hasselmanns Gespür für besondere Wissenschaftler hatte sich ausgezahlt: Maier-Reimers Vorarbeit ermöglichte den MPI-Forschern die natürliche Variabilität des Klimas zu simulieren – und unter anderem auf dieser Grundlage Mitte der Neunzigerjahre als erste Wissenschaftler den menschlichen Einfluss aufs Klima zu diagnostizieren. Axel Bojanowski
Mehr Geschichten aus der Klimaforschung in meinem neuen Buch:
Der Klimaforscher Hans von Storch findet mein Buch gut, was mich sehr freut, hier steht seine Rezension.
Auch “The European” lobt das Buch, ebenso die “Weltwoche”.
Mit dem Ökonomie-Professor Christian Rieck habe ich mich über das Buch unterhalten, hier gibt es das Video.