Eingeladen und abserviert
Anhörungen der Bundestags zu Klima und Energie sind eine Farce - drei verstörende Berichte
Petra Hänny war bis zu ihrer Pensionierung Rektorin in Rheinland-Pfalz. Sie nahm nun auf Einladung des Bundesumweltministeriums als Delegierte an einem “Bürgerdialog” in Berlin teil. Was sie dort erlebte, hat sie desillusioniert.
Bei “Cicero” berichtete Hänny in einem bestürzenden aber auch lustigen Bericht über “eine teure Alibiveranstaltung”. Der Text erinnerte mich an ähnliche Erlebnisse, die ich hier collagiert kurz vorstelle.
1. Aus dem Leben einer Klima-Delegierten
“Im Nachhinein betrachtet”, schreibt Hänny über den Tag des sogenannten Bürgerdialogs mit Umweltministerin Steffi Lemke, “war zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass vieles, was am 7. März ans Umweltministerium herangetragen werden würde, schon längst das Kabinett passiert hatte”, schreibt Hänny. “Nur dummerweise wussten wir das nicht.”
Zusammen mit anderen als “Klimadelegierte” Ausgelosten durfte sie Ideen für die Anpassung an den Klimawandel ausarbeiten und im Ministerium vorstellen. Doch die Veranstaltung geriet zur Farce.
Zum Beispiel fehlte die Hauptperson. “Am Morgen des 7. März waren trotz des Streiks fast alle Delegierte im Umweltministerium versammelt. Doch leider fehlte die Hauptperson. Es fehlte Steffi Lemke, wegen der wir alle nach Berlin gekommen waren.”
Hänny war darüber nicht verwundert, allzu viele Grotesken hatte sie bereits erlebt im Rahmen der Veranstaltung, wie sie in ihrem Artikel berichtet: Sie wäre “überhaupt nicht überrascht” gewesen über das Fernbleiben der Ministerin, schreibt Hänny.
Sie vermutete einen Marketing-Trick: “Hätten wir Delegierte von Lemkes Abwesenheit gewusst, wären viele zu Hause geblieben.”
Die für den Bürgerdialog zuständige Agentur IKU_Die Dialoggestalter hätte dann “nur jämmerlich abgespeckte Fotos machen können”. Und das wäre “Gift für weitere Aufträge aus dem Ministerium gewesen, denn schließlich kommt es vor allem auf die Bilder an”.
Endgültig verhöhnt kam sich Hänny vor, nachdem auch die zuständige Staatssekretärin die Gruppe der “Klimadelegierten” versetzt hatte.
“Christiane Rohleder betonte ihre eigene Wichtigkeit im Politikgeschehen und wies zügig auf ihre dichten Termine hin”, erzählt Hänny. “Eng getaktet, weil viel Arbeit, ein wichtiger Termin direkt im Anschluss, man müsse das verstehen, sie müsse weg.”
Die Diskussion mit der Staatssekretärin sei ausgefallen. “Stattdessen hielt Rohleder einen Monolog. Stolz hob sie hervor, dass von unseren Vorschlägen schon heute sehr viele umgesetzt seien. Es folgten die Fotos mit Rohleder in der Mitte.”
“Dann war sie weg und mit ihr IKU-Moderatorin Kristin Parlow, die schon mit dem Snowboard und Urlaubsgepäck zur Veranstaltung erschienen war und dann schon vor dem offiziellen Ende und ohne Verabschiedung in den Urlaub entschwand.”
Doch es gab ein überraschendes Wiedersehen mit der Staatssekretärin - im Café “Maxim” gleich neben dem Ministerium: “Das Maxim ist ein echtes Glashaus. Man sieht alle Gäste drin und die drinnen sehen alle Leute draußen. Kein guter Platz zum Untertauchen”, schreibt Hänny.
“Ich zog die Tür auf, und wer sitzt direkt dem Eingang gegenüber? Staatssekretärin Rohleder in gemütlichem Latte-Plausch mit einer Freundin vertieft. Mit einem despektierlichen ‘Da ist ja die Frau Konrektorin mit den vielen Terminen’ steuerte ich auf sie zu.”
Die Staatssekretärin reagierte forsch. “Entgegen meiner Erwartung war sie in keinster Weise peinlich berührt”, erzählt Hänny. “Ich an ihrer Stelle wäre rot vor Scham unterm Tisch verschwunden, wenn mein angeblich dringender Termin sich als Kaffeeklatsch entpuppt hätte.”
Hännys Resümee: “Meine Moral von der Geschicht? Ich nahm an einer teuren Alibiveranstaltung des Umweltministeriums teil.”
2. Klimaökonom bei Alibi-Anhörung
Im Jahre 2008 wurde in Berlin über die dritte Änderung des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG) beraten. Ökonomie-Professor Joachim Weimann, der als Sachverständiger geladen war, erzählt davon in seinem sehr interessanten Buch “Einfach zu einfach”.
“Wie üblich in solchen Gesetzgebungsverfahren, wurden Experten in den Bundestag eingeladen, um zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen”, schreibt Weimann:
“Mir wurde dabei die Ehre zuteil mich als einer von insgesamt fünf Experten im zuständigen Ausschuss des Bundestages zu dem Entwurf äußern zu dürfen. Theoretisch ist ein Austausch zwischen Politikern und unabhängigen Experten natürlich eine gute Sache, mit der man die Qualität der Gesetze tendenziell verbessern kann.”
Sein Resümee fiel ähnlich aus wie Hännys: “Tatsächlich sind solche Anhörungen aber reine Pflichtübungen für die Abgeordneten, denn die Bewertung des Gesetzes steht lange vorher fest und kein noch so gutes Expertenargument kann an dessen Text auch nur eine Kommasetzung verändern.”
Weimann war enttäuscht: “Es war das erste Mal, dass ich zu einer Anhörung eingeladen wurde und um ehrlich zu sein, hatte ich damals noch die naive Vorstellung, dass diese Veranstaltungen einen tieferen Sinn haben und tatsächlich der Information der Abgeordneten dienen.”
Der Wissenschaftler erkannte System: “Dass die Presseerklärungen zu der Ausschusssitzung meistens schon vor der Anhörung ausliegen, habe ich erst später mitbekommen.”
3. Eine Minute für die Energie-Expertin
Als Sachverständige im Umweltausschuss zum Atomausstieg konnte Anna Veronika Wendland im November 2022 ihre Expertise einbringen. Verzögerungs- und Vernebelungstaktik habe die öffentliche Anhörung zum „Entwurf eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes” am 9. November 2022 geprägt, berichtete sie bei WELT.
Wie Hänny und Weimann erlebte Wendland wie die Anhörung zur Farce geriet.
“Im Petitionsausschuss strapazierten die Regierung und ihre Abgeordneten die Geschäftsordnung mit ausgedehnten Fragen und Überziehung von Redezeiten und versuchten so, die Petenten an den Rand zu drängen”, berichtete sie.
Zunächst fielen ihr fachliche Absurditäten auf: Robert Habecks Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Stefan Wenzel, habe behauptet, der CO2-Ausstoß der Kernenergie sei zehnmal so hoch wie bei Windkraft - “was nach den Datenblättern des Weltklimarats, der Dutzende von Studien auswertete, nachweislich falsch ist”, erläutert Wendland. In Wirklichkeit lägen die Medianwerte von Kernenergie und Windkraft gleichauf.
Mit dem unwissenschaftlichen Begriff „Hochrisikotechnologie“ sei die Kernkraft betitelt worden. “In Wirklichkeit gehört die Atomkraft wie die Luftfahrt oder die Hochleistungsmedizin zu den sogenannten Hochzuverlässigkeits-Organisationen, die gemessen an ihrem Nutzen erstaunlich wenig Schäden produzieren”, stellt Wendland klar.
Die Historikerin schilderte, wie “fraktionsweise Fragen zum Gegenstand der Petition gestellt werden, die immer erst von den Regierungsvertretern und dann von den Petenten beantwortet werden”.
Ungleiche Redezeit monierte Wendland: “Die Regierung war mit zwei Staatssekretären, die jeweils ihre eigene Redezeit hatten im Gegensatz zu Andre Thess und mir, die sich die zwei Minuten teilen mussten, klar im Vorteil.” Der Energietechnik-Professor Thess war als weiterer Sachverständiger geladen.
“Hinzu kam, dass Wenzel seine Redezeit mehrmals überzog, während wir von der Vorsitzenden weit strenger an die Redezeit gemahnt wurden (die wir bis auf 1x nicht überschritten)”, schreibt Wendland.
Verzerrung dominierte die Veranstaltung: Der Anhörungsleiter von den Grünen habe politische Kontrahenten bereits zwei Sekunden nach Zeit-Überschreitung gestoppt, während er Verbündete habe gewähren lassen.
“Für mich bleibt: ich habe mein Vote of dissent aktenkundig gemacht”, schreibt Wendland. “Ich habe, wenn auch ohne Erfolg, getan, was ich für richtig hielt, ich habe mich bemüht, meinem Wissenschaftsethos treu zu sein, und ich muss mich dafür nicht verstecken.”
Doch der Frust ging weiter: In der Dokumentation der Veranstaltung wurde Wendland fälschlich als Vertreterin eines „Atomlobbyverbandes“ dargestellt.
Der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart stellte bereits in den Neunzigerjahren fest, dass Tatsachen nicht im Mittelpunkt stehen bei politischen Anhörungen: „Mehr als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten äußerten in einer Umfrage, dass sie bewusst solche Forschungsergebnisse suchen, die ihren Standpunkt unterstützen“. Axel Bojanowski
P.S. Sie waren auch auf solchen Veranstaltungen? Berichten Sie mir gerne (ich veröffentliche nichts ohne Rücksprache und nur mit ausdrücklicher Zustimmung): axelbojanowski@web.de