Wenn Lennart Bengtsson über den Klimawandel spricht, sollte man zuhören. Bengtsson ist ein Gigant der Klimaforschung.
Zwei der bedeutendsten Klimainstitute hat Lennart Bengtsson geleitet: Von 1981 bis 1990 war er Direktor des European Centre for Medium-Range Weather Forecasts in England, danach Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg.
Seit der Anfangszeit der Klimatologie hat sich Bengtsson unter anderem mit der Modellierung von Klima und Wetter beschäftigt. Nach seiner Emeritierung im Jahr 2000 arbeitete er als Professor an der Universität Reading in England. Bengtsson wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt.
Jetzt fand sich der zurückhaltende Klimaforscher, der im Gegensatz zu Kollegen nicht in die Medien drängt, unter Beschuss in Sozialen Medien. Der Anlass: Für WELT hatte ich mit Lennart Bengtsson über seine Deutungen des Klimaproblems gesprochen.
Anlass für unser Gespräch war sein neues Buch “Vad händer med Klimatet” (“Was passiert mit dem Klima”). Es bietet unaufgeregtes Grundwissen über den Klimawandel. Ich konnte es in der von Bengtsson an Kollegen verschickten digitalen Übersetzung lesen; Bengtsson hat die englische Übersetzung zum kostenlosen Download auf seine Homepage gestellt.
Andere Klimaforscher ziehen andere Schlüsse aus den Ergebnissen ihrer Wissenschaft; die Meinungen sind alles andere als homogen. Die Deutungen Bengtssons haben besonderes Gewicht, sie verdienen Beachtung.
Eine Widmung seiner Landsmännin Greta Thunberg findet sich nicht in dem neuen Buch des schwedischen Klimaforschers.
Dafür steht ganz vorne eine Würdigung des Klimaforscher-Nobelpreisträgers Klaus Hasselmann: “Er ist ein erfahrener und hoch angesehener Meteorologe und Klimaexperte”, schreibt Hasselmann in einer Werbung für das neue Buch seines Kollegen. Bengtsson lege “eine realistische und dennoch optimistische Einschätzung der verfügbaren Optionen für Veränderungen vor”.
In diesem Text möchte ich näher auf sein neues Buch eingehen.
Smalltalk vorweg
Der schwedische Klimaforscher hatte sich immer wieder mit kritischen Einschätzungen zu Wort gemeldet. Die natürliche Variabilität des Klimas wäre ungenügend verstanden, die prognostizierte menschengemachte Erwärmung werde überschätzt, schrieb er etwa 2013.
Manche Forscherkollegen hatten Bengtssons Thesen öffentlich zurückgewiesen. Insbesondere seine Skepsis hinsichtlich der Klimamodelle und seinen relativen Optimismus in Sachen Erwärmungsfolgen hielten sie für übertrieben. Modell-Skepsis ist in der Klimaforschung allerdings verbreitet.
Bengtsson bestreitet weder die anthropogene Erwärmung, noch die Notwendigkeit, die CO2-Emissionen zu bremsen. Er hat das Problem an führender Stelle über Jahrzehnte mit erforscht.
Doch wesentliche Ergebnisse der Klimakunde hält er für wenig robust. Vor acht Jahren sagte mir Lennart Bengtsson: “Ich habe mich nie als Alarmist gesehen, sondern als Wissenschaftler mit einem kritischen Blick.”
“Unfähigkeit, Prognosen zu treffen”
Er haderte mit dem Konsensstreben in der Klimaforschung: Er hege “großen Respekt” für die wissenschaftliche Arbeit hinter den IPCC-Berichten. “Aber ich sehe keine Notwendigkeit für das Bestreben des IPCC, einen Konsens herbeizuführen”, sagte er.
Er halte es für “essentiell”, dass es Gesellschaftsbereiche gibt, wo kein Konsens erzwungen werde. “Gerade in einem Gebiet, das so unvollständig verstanden ist wie das Klimasystem, ist ein Konsens sinnlos”, sagte Bengtsson mir 2014.
Der Klimaforscher, der sein Berufsleben lang an Szenarien und Vorhersagen arbeitete, war nie ein Fan der gängigen Klimaszenarien bis zum Ende des Jahrhunderts. “Ich war mein Leben lang fasziniert von Vorhersagen und frustriert von unserer Unfähigkeit, Prognosen zu treffen”, sagte er.
Mit einem Gedankenexperiment verdeutlichte Bengtsson seine Skepsis: “Gehen wir hundert Jahre zurück, versuchen wir aus der Sicht von früher einen Aktionsplan für die nächsten hundert Jahre - es wäre sinnlos”, meinte der renommierte Klimaforscher.
“Ich glaube nicht, dass es Sinn ergibt für unsere Generation zu glauben, dass wir die Probleme für die Zukunft lösen - aus dem Grund, dass wir die Probleme nicht kennen.” Bei gesellschaftliche Entwicklungen spielten Wetter und Klima eine untergeordnete Rolle.
“Mehr Energie”
Dem unreflektierten Weitermachen mit der Verbrennung fossiler Energien wollte Bengtsson aber nicht das Wort reden. Er versteht seine Aussagen als Aufruf zu wissenschaftlicher Aufgeschlossenheit.
“In einer Welt von neun bis zehn Milliarden Menschen in den kommenden 25 Jahren, die doppelt so viel Primärenergie wie heute erfordern wird”, bräuchte insbesondere Europa einen offeneren Zugang für Technologien: “einschließlich der Themen Kernenergie und Gentechnologie, um die wachsende Weltbevölkerung mit Energie und Nahrung versorgen zu können”, sagte mir Bengtsson 2014.
In seinem neuen Buch aktualisiert Bengtsson seine Ansichten.
Sein neues Buch
Die Temperatur der Erde sei um etwa ein Grad gestiegen und werde in diesem Jahrhundert wahrscheinlich noch um weitere ein oder zwei Grad ansteigen, schreibt Bengtsson. Um Risiken der Erwärmung zu begrenzen, seien langfristige und systematische Maßnahmen erforderlich, Treibhausgase weltweit zu reduzieren, damit die Erwärmung gebremst werden könne.
Noch sei die Lage nicht schlimm: Wenn wir Wetter und Klima betrachteten, gebe es aktuell “kaum ein Problem”, schreibt Bengtsson. Als Klimakrise sollte man die aktuelle Lage nicht bezeichnen.
Es gebe “bisher keine überzeugenden Beweise dafür, dass das Wetter extremer geworden ist, und in den meisten Gebieten der Welt ist das Wetter so, wie es schon immer war”.
Tatsächlich konstatiert der UN-Klimabericht allein für Hitzeextreme und Extremniederschlag und bestimmte Arten von Dürre eine Zunahme (und für Waldbrandwetter, wobei Waldbrände dennoch zurückgehen). Mehr Extreme bedeuten aber nicht unbedingt mehr Opfer, wie Daten eindrucksvoll bestätigen.
Von den 1920er bis zu den 2000er Jahren sei die Zahl wetterbedingter Todesfälle von 485.000 auf 36.000 Personen pro Jahr gesunken, zitiert Bengtsson offizielle Zahlen. Pro Million Einwohner bedeute das einen Rückgang von 241 auf 5 Tote. In den 2010er-Jahren wurden es noch weniger.
Wettervorhersagen hätten sich “erheblich verbessert”, nicht zuletzt die Vorhersagen für extreme Wetterlagen wie tropische Wirbelstürme und heftige Herbst- und Winterstürme. Gleichzeitig würden Schutzvorkehrungen und die Möglichkeiten zur Evakuierung von Menschen aus gefährdeten Gebieten erheblich verbessert, wodurch die Zahl der Toten und Verletzten trotz rapide wachsender Bevölkerung “drastisch gesenkt werden konnte”, was Zahlen bestätigen.
Gleichzeitig, schreibt Bengtsson, sei das weltweite Nahrungsmittelangebot “dramatisch gestiegen”: Im Zeitraum 2017-2018 habe die Nahrungsmittelproduktion neue Rekorde erreicht, nicht zuletzt bei Sojabohnen, Weizen und Reis. “Mit anderen Worten: Es gibt keine Beweise dafür, dass sich der Klimawandel bisher negativ auf unsere Lebensmittelversorgung ausgewirkt hat, ganz im Gegenteil”.
Bengtsson kritisiert in seinem neuen Buch die populär gewordene Zuordnung von Wetterereignissen zur globalen Erwärmung: Die Berechnungen des UN-Klimarats IPCC beruhten auf der Unterscheidung zwischen anthropogenen und natürlichen Klimaschwankungen, mithin solchen, die vom Menschen verursacht werden, und solchen, die durch natürliche Prozesse entstehen.
“Meiner Meinung nach ist es jedoch nicht möglich, die spezifischen Ursachen eines bestimmten Wetters oder einer ungewöhnlich kalten oder warmen Jahreszeit zu bestimmen”, schreibt Bengtsson, der sein Berufsleben lang an dem Thema gearbeitet hat.
Ein “Hauptproblem” sei, dass es keine Korrelation zwischen dem geografischen Muster der Klimaerwärmung und dem Muster der daraus resultierenden Klimaerwärmung gebe.
Bengtsson über Wetterextreme: “Meines Erachtens ist es nicht möglich, nachzuweisen, dass ein stärker werdender Sturm, ein heftiger Regenschauer oder eine lang anhaltende Dürreperiode auf erhöhte anthropogene Emissionen zurückzuführen ist. Diese Wetterereignisse können ebenso gut durch natürliche Phänomene verursacht werden”.
“Können es nicht abschätzen”
Modellversuche könnten “bestenfalls zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit bestimmter Wetterphänomene im Laufe der Zeit ändern kann”. Eine Ansicht, die auch Forscher öffentlich vertreten, die entsprechende Attributionsstudien erarbeiten.
“Trotz aller bisherigen Forschungen”, schreibt Bengtsson, “können wir das Ausmaß des Klimawandels und die damit verbundenen Probleme noch nicht zufriedenstellend abschätzen für die Gesellschaft”.
Der Schwede wirbt für einen stärkeren Fokus auf die Anpassung an den Klimawandel.
“Was kann man bei einem so großen Problem wie dem Klima der Erde vernünftigerweise tun, außer sich anzupassen, wenn die Natur sich als bedrohlich erweist?”, fragt Bengtsson in seinem neuen Buch. “Wetterextreme sind das eigentliche Wesen des Erdklimas und können vom Menschen nicht aufgehalten werden”.
Ein “schwieriges Problem” sei der Anstieg des Meeresspiegels. Es gebe “keine andere Möglichkeit, sich gegen den Anstieg zu schützen als mit dem Bau von Deichen oder, wenn nötig, den Umzug in höher gelegene Gebiete”.
Ergänzung zu der Grafik: Die oberen beiden und das unterste Szenario sind laut Szenarienexperten nicht mehr realistisch.
Ein anderes Problem sei die Veränderung des Niederschlagssystems der Erde, das womöglich einen umfangreichen Transport von Süßwasser aus Nordeuropa in den Mittelmeerraum oder die Entsalzung von Meerwasser erforderlich machen könnte bei fortschreitender Erwärmung.
Bislang hätten sich Veränderungen, die eindeutig als Folge der höheren Temperaturen identifiziert werden konnten “in Grenzen gehalten”: schrumpfende Gletscher, geringeres Sommereis in der Arktis, “ein leichter Anstieg des Meeresspiegels”, schreibt Bengtsson.
Das Schmelzen des Meereises in der Arktis böte auch Vorteile, etwa für Schifffahrt und Fischerei. Selbst höhere Treibhausgaskonzentration sei nicht nur nachteilig, sie bedeute schnelleres Wachstum der Vegetation und “bessere Wassereinsparung für Pflanzen”.
Satellitenmessungen bewiesen, dass die Erde grüner geworden sei, und Berechnungen zeigten, dass der Hauptgrund dafür die Zunahme des Kohlendioxids ist.
“Glücklicherweise”, schreibt Bengtsson, “gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass sich das Klima der Erde in einer Weise verändert, die kurzfristig ernsthafte Bedenken aufwirft”.
Auch die populär gewordenen angeblichen Kipppunkte machen Bengtsson keine Sorge. “Die in den letzten Jahren kursierenden Ansichten, dass das Klima vor einem so genannten Kipppunkten oder einem drastischen und unumkehrbaren Klimawandel steht, entbehren einer ernsthaften wissenschaftlichen Grundlage und können nicht die Basis für ein realistisches und verantwortungsvolles Aktionsprogramm sein”, schreibt er.
Bengtsson hält Kipppunkte für nicht auf das Klima anwendbar: “Kipppunkte sind Eigenschaften einfacher nichtlinearer mathematischer Systeme und nicht unbedingt Eigenschaften des realen Klimasystems und der thermischen Trägheit, die sich aus der riesigen Masse des Ozeans und des Landeises ergibt”, erläutert er.
Unplausible Kipppunkte
Die Mahner vor Kipppunkten verweisen auf die relativ rasche Klimaveränderung am Ende der Eiszeit. Bengtsson überzeugt das nicht.
“Größere Klimaveränderungen in der Vergangenheit, wie zum Beispiel der Übergang von einer Zwischeneiszeit zu einer Eiszeit oder umgekehrt, sind keine Ereignisse, die sich von einem Jahr zum nächsten ereignen, sondern Ereignisse auf Zeitskalen von mehreren Jahrhunderten oder sogar längeren Zeiträumen”, schreibt Bengtsson.
Es gebe auch keine Hinweise aus realistischen Modellstudien, dass der Klimawandel erheblich schneller eintreten würde, als es die verfügbaren Forschungsergebnisse andeuteten, die in den Hauptberichten des IPCC berichtet werden.
Auch Bengtssons Nachfolger als Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Jochem Marotzke, hatte sich kritisch über das Kipppunkte-Konzept geäußert.
Wie Marotzke hält aber auch Bengtsson eine weitere Erwärmung für unausweichlich: “Ich glaube nicht, dass der Klimawandel vermeidbar ist”, schreibt er.
“Eine vernünftige Strategie besteht daher darin, die Klimaerwärmung auf das Maß zu begrenzen, das im Rahmen der verfügbaren wirtschaftlichen und industriellen Ressourcen und der derzeitigen sozialen Systeme beherrschbar ist”.
Bengtsson glaubt, dass die weltweite Energiewende allmählich voranschreiten werde, sich “die Energieerzeugung und damit auch der Ausstoß von Treibhausgasen grundlegend ändern wird”.
Zudem erwarte er, dass bis Mitte dieses Jahrhunderts neue Formen der Kernenergie verfügbar sein werden. In den meisten Teilen der Welt werde an der Verbesserung des Energiemanagements gearbeitet, es gebe “allen Grund, positiv in die Zukunft zu blicken”.
Bengtsson fordert eine offenere Debatte über Folgen und Maßnahmen der Erwärmung. Er kritisiert “Gruppendenken, das eine rationale Analyse verhindert”. Dabei sei “nichts wichtiger als unvoreingenommene Neugierforschung”. Sie müsse in einer klugen Gesellschaft immer Priorität haben. Axel Bojanowski