Ich habe mich daran gewöhnt, dass beim Thema Klima eigentlich jeder Unsinn zur Schlagzeile wird. Die Frage, ob das bei anderen Themen, bei denen ich mich nicht auskenne, auch der Fall ist, beschäftigt mich durchaus. Was dann?
Diese Woche verkündeten so gut wie alle Medien, ein “Klimareport” von Wissenschaftlern, Außenministerium und BND zeige, dass der Klimawandel Deutschlands Sicherheit gefährde.
„Neuer Klimareport: Klimawandel großes Sicherheitsrisiko für Deutschland“, meldete die Deutsche Presseagentur – und Hunderte Medien verbreiteten die Nachricht.
Für WELT habe ich darüber berichtet. Hier ein paar Schlaglichter:
Schon ein kurzer Blick in die zugrundeliegende 43-seitige “Studie” - weder fachlich begutachtet, noch von Experten verfasst - macht misstrauisch: Unrealistische Extremszenarien (SSP3-7.0, SSP5-8.5) springen ins Auge. Im Vorwort bezieht Außenministerin Baerbock nicht nur gewohnt ungeniert Wetterkatastrophen auf die Erwärmung, sondern auch Kriege.
Die vorangestellten “Kernaussagen” enthalten so viele gewagte Behauptungen, dass man nochmal ins Impressum schaut, ob die Broschüre wirklich von Wissenschaftlern verfasst wurde. Autoren sind fünf Sozial- und Politikwissenschaftler aus drei Denkfabriken (Metis, Adelphi, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung).
Das Vorgehen ist altbekannt.
Behörden und Geheimdienste nutzen das Klimathema seit Jahrzehnten, um ihre Bedeutung zu untermauern: Globale Risiken stärken die Institutionen.
Der Auslandsgeheimdienst der USA, die CIA, erklärte in den 1960er-Jahren, ein Klimawandel habe begonnen, der Ernteausfälle und Hungersnöte nach sich ziehen werde. Nahrungssicherheit sei “in der neuen Klima-Ära nicht möglich“ und Klima nun ein „kritischer Faktor“. Fortan prosperierten die Ernteerträge wie nie zuvor.
Das Verteidigungsministerium der USA prophezeite 2004 dennoch aufgrund der globalen Erwärmung für das Jahr 2020 Dürren, Hunger und Ausschreitungen – ebenfalls Fehlprognosen.
Die neue Publikation kopiert die Strategie: Extremes Wetter werde Ernteausfälle und soziale Unruhen bringen, so lässt sich die Botschaft zusammenfassen. Doch die Schlussfolgerungen ignorieren die wissenschaftliche Literatur.
Zentrale Beispiele:
Behauptung: „Zwischen 1981 und 2010 ergab sich bereits klimawandelbedingt eine leichte Abnahme des durchschnittlichen Feldertrags bei Mais, Weizen und Sojabohnen“, heißt es beispielsweise.
Wirklichkeit: Zwar konstatiert der UN-Klimarat IPCC, die globale Erwärmung könnte Ernteerträge in den vergangenen Jahrzehnten um rund fünf Prozent gemindert haben. Angesichts des gleichzeitigen Wachstums der Ernte von 150 bis 250 Prozent – je nach Getreideart – fällt der Klimaeffekt aber minimal ins Gewicht.
Behauptung: „Aufgrund von sinkender Nahrungsmittelverfügbarkeit und abnehmender -qualität rechnet der IPCC mit einem Anstieg von Hunger“, heißt es in Baerbocks Klima-Broschüre.
Wirklichkeit: Der IPCC analysiert ausschließlich mögliche Klimawandel-Effekte, wie die sich aber auf den Menschen auswirken, entscheiden andere Faktoren.
Eine Studie im Wissenschaftsmagazin „Nature“ etwa, die 57 Zukunftsszenarien ausgewertet hat, kam zu dem Ergebnis, dass selbst extremer Klimawandel keinen signifikanten Effekt auf die Ernährungssicherheit hat, weil das Wirtschaftswachstum die Entwicklung bestimmt.
Ein führender IPCC-Forscher hatte die Ausblendung von Nicht-Klima-Effekten im IPCC-Report bei Zukunftsszenarien jüngst kritisiert. Brian O’Neill vom Pacific Northwest National Laboratory forderte, besser zwischen Gesamtrisiken und Klimarisiken zu unterscheiden.
Klimaeffekte könnten negativ ausfallen, aber von anderen Einflüssen überboten werden, schreibt O’Neill. Folgen der Erwärmung verlangsamten zwar den Fortschritt, kehrten ihn aber nicht um.
O’Neill:
Die meisten Szenarien des UN-Klimarats stellten eine Zukunft mit weniger Armut und weniger Konflikten in Aussicht, „in der die Menschheit besser ausgebildet, besser ernährt, langlebiger und gesünder ist“. Der Klimawandel könnte zwar örtlich Druck auf Nahrungsmittelproduktion ausüben. Aber diese Prognose beziehe sich nur auf das zusätzliche Risiko des Klimawandels und setze voraus, dass alle anderen Treiber unverändert blieben.
Das Gesamtbild wäre positiv:
Bis 2050 würde die Zahl von Hungernden den Szenarien zufolge auf ein Drittel sinken, selbst bei zwei Grad Erwärmung. Die Verbesserungen beträfen auch Südasien und Afrika südlich der Sahara, wo die Ernährungsunsicherheit derzeit am höchsten ist, schreibt O’Neill. Das Hungerproblem werde „überwiegend nicht durch den Klimawandel bestimmt, sondern durch die anderen Faktoren, darunter Einkommenswachstum, technologische Entwicklung in der Landwirtschaft und Handel“.
Die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) prognostiziert eine Steigerung der Ernteerträge um 30 Prozent bis 2050 – trotz Klimawandel.
In den ärmsten Teilen der Welt, wie etwa in Afrika südlich der Sahara, erwartet die FAO gar Steigerungen von 80 bis 90 Prozent, weil Wirtschaftswachstum auch dort zunehmend moderne Bewässerung, Düngung und Technologie erlauben würde.
Hinzu kommt, dass die globale Erwärmung zwar die Erträge von Mais mindern dürfte, jene von Weizen-, Reis- und Sojabohnen aber verbessern könnte, wie Studien zeigen.
Neben den irreführenden Warnungen vor Ernährungsknappheit warnt Baerbocks Broschüre vor „Staatszerfall, Bürgerkrieg oder zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen“ wegen des Klimawandels – ebenfalls unter Ignoranz der Fachliteratur.
Klima-Kriege?
Behauptung: „Die Klimakrise verstärkt einen Trend, der bereits seit mindestens 10 Jahren beobachtbar ist, nämlich, dass die Konflikthaftigkeit im internationalen System insgesamt zunimmt“, behauptet die Broschüre ohne Belege und im Widerspruch zum UN-Klimareport.
Wirklichkeit: „Derzeit liegen keine ausreichenden Belege vor, um bewaffnete Konflikte auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen“, bilanziert der IPCC.
Im Vergleich zu sozioökonomischen Faktoren werde der Einfluss des Klimas auf Konflikte „als relativ schwach eingeschätzt“.
Auch für vergangene Jahrhunderte lassen sich Zusammenhänge zwischen Klimaänderungen und bewaffneten Konflikten schwerlich herstellen, wie Analysen ergaben.
Behauptung: Unter Berufung auf das „Migration-Data-Portal“, das keinen wissenschaftlichen Ansprüchen dient, behauptet Baerbocks “Studie”: „Bereits heute wirken sich klimawandelbedingte Ereignisse auf Vertreibung und Migrationsbewegungen aus, weil Extremwetterereignisse oder schleichende Umweltveränderungen Lebensgrundlagen zerstören“. Sie warnt vor Hunderten Millionen Klimaflüchtlingen Mitte des Jahrhunderts.
Wirklichkeit: Das UN-Umweltprogramm hatte 2005 bereits 50 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2010 vorhergesagt.
Nachdem sie nicht eingetreten waren, erwarteten Forscher die 50 Millionen bis 2020, ebenfalls ein Irrtum.
Ein Bericht des EU-Parlaments von 2020 kritisiert die „alarmistischen Stimmen“:
Schätzungen von Klimaflüchtlingen hätten sich „als problematisch erwiesen, sie fußen auf einem vereinfachten Verständnis“, es mangelte ihnen „an grundlegenden Qualitätskriterien“, heiß es in dem Bericht. Die Zahl von Klimaflüchtlingen lasse sich kaum bestimmen, es fehlte an Daten und Methoden.
„Es gibt eindeutige Belege dafür, dass Menschen weltweit durch Katastrophen ihre Heimat verlassen müssen, aber nur begrenzte Belege dafür, dass der Klimawandel oder der Meeresspiegelanstieg die direkte Ursache dafür sind“, schreibt der UN-Klimarat. „Klimabedingungen sind schwache Prädiktoren für Asylmigration“, bilanzieren Migrationsexperten.
Der Trick
Baerbocks Broschüre bedient sich also eines Tricks, der typisch ist für aktivistische Klima-Publikationen: Sie suggeriert, die globale Erwärmung wäre der einzige Einfluss. Dabei spielt der Klimawandel stets eine untergeordnete Rolle, wenn es um gesellschaftliche Phänomene geht. Axel Bojanowski
In einem Gastbeitrag habe ich beschrieben, wie es kam, dass die Kernfrage in der Klimadebatte unterdrückt wurde.
In meinem Buch über den Klimastreit erzähle ich anhand konkreter Ereignisse, wie Ergebnisse der Klimaforschung korrumpiert werden, wodurch die Lösung des Klimaproblems erschwert wird; hier ließe sich das Buch bestellen.